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grausame Hülfe bei diesem. Für das Geld, welches er auf¬
nahm, mußte er hohe Zinsen zahlen, und wcnn er diese nicht
gerade -an dem bestimmten Tage entrichtete, seine Ländereien
selbst an den Gläubiger abtreten. Nachdem er nichts mehr zu
verpfänden hatte, verkaufte der Arme, um nur das Leben zu
erhalten, seine eigenen Kinder als Sklaven, und endlich, als
auch dieses Mittel erschöpft war, borgte er aus seinen eigenen Leib.
Gegen diesen abscheulichen Menschenhandel war noch kein Ge¬
setz vorhanden; nichts hielt die grausame Habsucht der reichen
Patricier in Schranken. Sie sperrten ihre Schuldner in Ge¬
fängnisse, verurtheilten sie zur Zwangsarbeit unter blutigen
Geißelhieben, oder zur abdienenden Leibeigenschaft. Das war
das Schicksal der Streiter für die Freiheit und Herrlichkeit des
Vaterlandes, selbst solcher, die in mehr als zwanzig Schlachten
tapfer gefochten und verdiente Ehrenzeichen in Menge aufzu¬
weisen hatten. Wie hätten sie in den Jubel der Patricier über
den Untergang der Tyrannen mit einstimmen können, da eben
die Patricier von dem Tage der Freiheit ab ihre und ihrer
Kinder Tyrannen wurden!
Der Dictator (501). — Die gemeinsame Noth schlang
ein engeres Band um die Plebejer. Als damals die Latiner,
angereizt von Tarquinius, feindlich gegen Nom anzogen, wei¬
gerten sie sich, ergrimmt über die unmenschliche Behandlung
von Seiten der Patricier, die Waffen zu ergreifen. Es schien
ihnen thöricht, einen Tyrannen abzuwehren, um hunderte
zurückzubehalten. Da waren die Patricier in der äußersten
Verlegenheit; jedoch wußten sie sich endlich zu helfen. Die
Consuln und alle übrigen Beamten legten jetzt ihre Stellen
nieder. Sie ernannten einen Dictator oder Befehlshaber
mit unumschränkter Macht, die er jedoch nicht über sechs Mo¬
nate behalten sollte, damit sie nicht in eine vollständige Allein¬
herrschaft ausarte. Vier und zwanzig Lictoren schritten mit
Beilen und Ruthen vor ihm her und stellten die große unge-
theilte Gewalt zur Schau. Er selbst ernannte sich einen Ober-