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auf dasselbe vor den Augen der zahlreichen Zuschauer niederknien
und öffentlich bekennen, daß er Gott vielfach beleidiget, die Geist¬
lichkeit geärgert, daS Volk schlecht regiert habe. Auf einem gro¬
ßen Zettel waren ihm seine Sünden verzeichnet, und mit Thränen
in den Augen las er sie laut ab. Tann wurde ihm sein glän¬
zender Wafsenrock ausgezogen und das härene Bußkleid, auf
dem er gekniet hatte, angelegt; zuletzt führte man den büßenden
Kaiser in's Kloster.
Jedoch erreichte Lothar seinen boshaften Plan nicht. DaS
ganze Volk wurde entrüstet über ein so unnatürliches Verfahren
eines Sohnes gegen seinen greisen Vater. Auch die beiden
übrigen Brüder waren höchst unzufrieden über Lothar's Beneh¬
men, besonders über seine unersättliche Habsucht und nahmen
sich des Vaters an. Da gütliche Vorstellungen nicht fruchten
wollten, sammelte der jüngere Ludwig, welcher nachher der Deut¬
sche genannt wurde, schnell ein Heer und ging mit demselben
auf Lothar los. Der Neberraschte sioh eiligst nach Paris und
schleppte auf der Flucht seinen gefangenen Vater mit sich fort.
Aber Ludwig setzte ihm in Eilmärschen nach, und Pipin rückte
von der anderen Seite heran. In dieser Bedrüngniß ließ Lothar
seinen Vater in dem Kloster St. Denis bei Paris; er selbst
rettete sich durch die Flucht. So ward der Kaiser befreiet und
feierlich in seine Würde wieder eingesetzt. Der gutmüthige Vater
verzieh Allen, selbst mit dem pflichtvergessenen Lothar söhnte er
sich wieder aus. Zu seiner nicht geringen Freude erhielt er auch
seine Gemahlin wieder, die man früher ebenfalls in ein Kloster
verwiesen hatte. Von nun an schien Alles beruhigt, Glück und
Frieden bei ihm wieder eingekehrt zu sein. Doch dieses Glück,
dieser Friede war nur scheinbar und von kurzer Dauer. Durch
alles vorhergegangene Unglück nicht gewarnt, kam er wieder mit
einer Ländertheilung znm Vorschein, damit nur ja sein Liebling
Karl recht reichlich bedacht würde. Hierüber kam es zu neuen
Mißhelligkeiten zwischen dem Kaiser und seinem Sohne Ludwig.
Während der Zeit starb Pipin (839). Hätte nun der Kaiser