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Ein unaussprechlicher Ausdruck von Angst und Freude malte sich auf 
Stephan Steinens Angesicht; denn da vor den Stufen des Altars hingesunken 
lag sie, die er gesucht, sein Weib, seine Margaret. 
Ja, er hatte Recht gehabt. Hierher hatte sich die arme, mühselige und beladene 
Frau geflüchtet mit dem letzten Aufgebote ihrer Kraft, als ihr Rufen und Klopfen 
vergeblich geblieben: gerade die Mühseligen und Beladenen hieß ja der göttliche 
Heiland zu sich kommen. Die Mutter der Barmherzigkeit ließ sie sicher nicht 
vergeblich rufen. 
Wie sie den Weg zurückgelegt, den steilen, gefährlichen, durch Regen und 
Sturm, Frau Margaret hätte es nicht zu sagen gewußt; aber endlich war sie 
doch oben gewesen, an dem stillen, heiligen Ort des Friedens. Ob sie noch ein 
Gebet gestammelt, ob sie nur sehnend die Hände erhoben — erhört war sie worden. 
Maria hatte ihren Mantel um das arme Weib gebreitet; eine Ohnmacht 
hatte die Erschöpfte umfangen, daß sie ihres Kummers und Elends vergaß, bis 
Gottes Führen und Regieren einen Hoffnungsstern ihr aufgehen lassen konnte. 
Da kniete Stephan Steinen neben seinem Weibe, da bettete er ihr Haupt 
auf seinen Knieen, da rief er sie bei Namen, da netzten seine Tränen ihr Angesicht, 
und da schlug sie die Augen auf. 
Wußte sie auch nicht, was und wie ihr geschehen, in den Zügen ihres Gatten 
las sie es deutlich, daß Gott ein Wunder für sie getan, die Mutter der Barmherzigkeit 
ihr heißes Flehen erhört — und das wußte auch Stephan Steinen. Und nicht 
lange währte es, so waren die Gatten imstande, in heißem Gebet ihr Dankopfer 
darzubringen und ihr Gelübde zu erneuern. Auch Stephan hat es heilig gehalten. 
Redeatis. 
95. Der Mutter Herz, des Kindes Auge. 
(„Die Mutter“.) 
Ich kannte sie genau; ich wußte ihren wohlklingenden Namen, ich 
kannte auch ihren Mann, der Professor war und viele Ämter bekleidete 
Aber immer, wenn sich meine Gedanken auf sie richteten, und auch jetzt, 
wo ich diese wenigen Zeilen über sie schreibe, wußte und weiß ich keinen 
andern Namen und Titel für sie als: die Mutter. 
Sie hatte in ihrer Ehe lange auf das Mutterglück warten müssen. 
Aber dann ging ihre tiefe Sehnsucht in Erfüllung. Sie bekam einen 
Sohn, den nannte sie Josef. 
Ich war einmal dort, als sie wie so oft — sich über die Wiege 
des Kleinen beugte und immer und immer das Eine suchte: seinen Blick 
oder, ich will sagen, die Seele in seinen Augen. 
Und gerade als ich dort war, jauchzte sie auf und sagte, nun hätte 
er sie erkannt, er hätte sie angesehen und gelächelt. O, die Mutter war 
so überselig!
	        
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