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Bereitwilligkeit in seiner Wohnung aufnahm. Ein herrlicher Mondschein
ließ mich indessen noch nicht zur Ruhe kommen. Ich trieb mich mit den
Soldaten auf den halbdunklen Straßen herum, machte gleich ihnen mit
den Einwohnern Bekanntschaft oder fahndete nach einem Glas Wein oder
Bier, bis der Zapfenstreich auch dem ein Ende machte und die letzte
Strophe der vielen schönen deutschen Volkslieder verhallt war, welche
unsere wackeren Soldaten am Biwakfeuer auf den Plätzen sangen, um¬
drängt von den lauschenden Parisern.
Kaiser Wilhelms ÄnKunft in ßrrliit.
Nachdem ich mich schon an zwei Stunden lang durch das Wogen
und Treiben in den menschenvollen, flaggen- und fahnengeschmückten
Straßen und Plätzen gedrängt hatte, fand ich es an der Zeit, dem
Potsdamer Bahnhöfe zuzutrachteu. Gegen fünf Uhr sollte dort der Extra¬
zug einlaufen, der den Kaiser heimführte. Zwar schlug es eben erst zwei,
allein schon wälzte sich vor, neben und hinter uns eine endlose Völker¬
wanderung der Station zu. Der Zutritt zum Bahnhof war zwar nur
gegen Eintrittskarten möglich; aber wir kamen glücklich auf den Einfall,
Fahrkarten nach Potsdam zu lösen; so bekamen wir wirklich die Er¬
laubnis, den Perron des Bahnhofs zu betreten. Schon kommen die
abholenden Hofequipagen angerollt, Zwei- und Viergespanne, offene
Phaetons unb geschlossene Staatswagen. Die schönen Goldbraunen vor
dem Wagen, bet jetzt in ben Platz einbiegt, unb ben Mann barin mit
bem tief in ben Nacken hinuntergeschobenen blanken Reiterhelm, — bie
kennt ringum groß unb klein. „Bismarck! Bismarck hoch!" erbraust es
von tausenb Stimmen.
„Hören Sie!" rief mein Begleiter. Ich hörte vorerst nichts als
ein bumpfes Grollen wie von fernem Donner. Das bumpfe Grollen
ließ sich balb als lauter Hurraruf unterscheiben, unb schon begannen bie
Hochrufe in unserer Nähe zu erbröhnen, währenb in langsamen Stößen
eine Lokomotive kam, bie mit Fahnen unb Guirlanben geschmückt war;
bie Waggons hinter ihr waren ebenso umkränzt. „Der Kaiser! ber
Kaiser!" lief es längs ber Schienen burch bie Versammlung unb alle
Hänbe legten sich an bie Helme unb Solbatenmützen unb alle Hüte
flogen von ben Köpfen unb brüben aus ben Fenstern ber Straßen wehte
ein weißer Walb von grüßenben Tüchern. Er war angelangt in seinem
heimatlichen Berlin. Am Fenster bes Salonwagens staub bie schöne
Kriegergestalt mit betn weißen Barte unb blickte mit sreunblichem, boch
ernstem Gesicht auf bie hulbigenbe Menge.