Full text: Geschichte der Alten Welt (Theil 1)

Die Griechen. 
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er die Einnahme von Amphipolis durch Brasidas nicht hatte hindern 
können, von dem athenischen Volke mit Verbannung bestraft wurde. 
In seinem Werke waltet hoher Ernst, denn er will nicht unterhalten, 
sondern eine klare Einsicht in die Zustände jener Zeit und in den Gang 
der Ereignisse und von den hervorragenden Männern ein wahrheits¬ 
getreues Bild geben. Sein Mitbürger und Fortsetzer Xenoph on, Xcnophon 
jener Anführer der Zehntausend, steht ihm an Tiefe und Gründlichkeit 
weit nach, moralisiert viel, sucht zu belehren, zeichnet sich aber durch lieb¬ 
liche Schreibart aus und liefert in seiner „Anabasis" ein Muster der 
Darstellung jenes Feldzuges, den er als Augenzeuge und in der wich¬ 
tigsten Periode als Anführer mitmachte. 
K 300. Nach dem persischen Kriege gewann die Philosophie 
einen großen Einstuß auf die gebildeten Klassen in Athen und den mei¬ 
sten griechischen Städten; das gemeine Volk aber bewahrte in der 
Regel gegen die Philosophen eine mißtrauische oder feindselige Stim¬ 
mung, weil es ganz richtig heraussühlte, daß sie den herkömmlichen 
Glauben an die Götter nicht theilten, und wenn sie auch demselben nicht 
geradezu widersprächen, doch Lehren oder Ansichten vortrügen, welche 
sich mit jenem Glauben nicht vereinigen ließen; daher mußten einige 
aus Athen entfliehen, wie z. B. AnaxagoraS und Diägoras, den 
Prodikus dagegen traf das Todesurtheil. Einen andern Weg schlu¬ 
gen die dialektischen Philosophen ein; sie befaßten sich nicht mit Reli¬ 
gion und Metaphysik, sondern sie lehrten, wie man eine Sache denkend 
betrachten, sie nach allen Beziehungen erwägen und demgemäß andere 
darstellen könne. Aus der Dialektik entwickelte sich die Sophistik, 
d. h. die Kunst, das Gleiche zu beweisen und zu widerlegen und über Alles 
fertig zu reden. Sie war für die Redner in Athen begreiflich von hoher 
Bedeutung; aber indem sie dem Eigennutz, dem Haß, dem Neid und der 
Frivolität ihre Dienste leistete, richtete sie auf dem Gebiete des Rechts 
und der Sitte große Verheerungen an. Diesem Treiben trat Sokra- Sokrates 
tes entgegen; Untersuchungen über den Ursprung der Welt, über die 460—399 
Dinge unter und über dem Himmel u. dgl. waren ihm zuwider oder- 
lächerlich, weil man nach seiner Meinung davon nichts wissen und er¬ 
gründen könne; den Sophisten aber bewies er, daß ihre Weisheit eine 
nichtige sei. Er wandte sich vorzüglich an die Jünglinge und suchte sie 
für das Streben nach Tugend zu gewinnen, als dem höchsten Gute, 
das der Mensch zu erlangen vermöge. Die Ideen des Rechten, Wah¬ 
ren und Guten, glaubte er, seiendem Menschen angeboren; man brauche 
also nur die rechte Selbsterkenntniß zu erwerben, um tugendhaft zu sein. 
Daraus folgte, daß der Schlechte eigentlich aus Unwissenheit schlecht, 
die Tugend aber eine Wissenschaft und daher zu lehren und zu erlernen 
sei; , sie ist bei Sokrates nichts anderes als die Tüchtigkeit immer zur 
rechten Zeit in rechter Weise sich- der rechten Mittel zu bedienen, ist 
also entfernt nicht die christliche Tugend, die aus der Liebe zu Gott 
entspringt. Diesen ahnte Sokrates und fühlte in sich eine tiefe Sehn¬ 
sucht nach Vervollkommnung, daher glaubte er fest au die Unsterblich¬ 
keit der Seele und das Leben in einer besseren Welt. Die griechischen 
Götter konnten ihm nicht genügen, und wenn er auch opferte und seine 
Freunde gelegentlich das Orakel befragen hieß, so war die Anklage fei¬ 
net Feinde, daß er kein Rechtgläubiger sei, dennoch so begründet, als
	        
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