Die Griechen. 65
Wissenschaft und Kunst aus, wie sie kein anderes Volk der alten
Welt besaß.'
Der griechische Glaube in der nachhomerischen Zeit , als er seine
volle Ausbildung erhalten hatte, war in seinen Hauptzügen folgender:
Die gegenwärtige Weltordnung ist von Zeus gegründet, der die be- Die obersten
siegten feindlichen Mächte in dem Tartarus, tief unter der Erde, ein-
geschlossen hält. Er ist Herrscher des Himmels, mit seiner Gemahlin
Hera auf dem höchsten Gipfel des Olymp (des idealen Götterberges,
nicht mehr des thessalischen) thronend; er schleudert den Blitz und sen¬
det den befruchtenden Regen aus den Wolken auf die Erde; er waltet
über das Treiben der Menschen, das gegen seinen Willen nie ge¬
lingen kann. Auch die Götter gehorchen seinem Befehle in den ihnen
eingeräumten Wirkungskreisen. Seine jungfräuliche Tochter Pallas
Athene steht ihm am nächsten; sie fördert alles Gute, gibt der be¬
sonnenen Tapferkeit den Sieg, verleiht Weisheit und Kunst. Apollon,
der Lichtgott, ist der Verkünder von Zeus Willen, der Begeisternde,
daher der Gott der Weissagung, der Dicht- und Tonkunst; er entsühnt
und reinigt, heilt, verleiht gedeihliches Wachsthum, er gibt aber auch
frühzeitigen Tod. Als Lichtgott ist er auch Sonnengott; die am Himmel
hinwandelnde strahlende Schreibe lenkt jedoch Helios, während in Apol¬
lon die Wirkungen des Sonnenlichts und der Sonnenwärme personifi-
ciert sind. Seine Schwester Artemis ist die jungfräuliche Mondgöt¬
tin, doch nicht der wechselnde Mond am Himmel, sondern sie personifi-
ciert das Wachsen, Weben und Leben der Pflanzen- und freien Thier¬
welt in der thauigen Mondnacht, daher ist Artemis auch die Jägerin
und hat eine stürmische Seite. Hermes ist der Bote des Zeus und
vollstreckt dessen Willen; er ist erfinderisch und glückbringend, schützt
Wege und Handel, geleitet endlich die abgeschiedenen Seelen in die
Unterwelt. Dagegen ist Ares, der Kriegsgott, verderblich; denn er
erweckt wohl stürmischen Muth, wilde Freude an Kampf und Blutver¬
gießen, den Sieg aber gibt nur Zeus oder seine Tochter Pallas Athene.
So ist auch Aphrodite, die Göttin des Liebreizes, nicht beglückend,
wenn nicht Zeus Gattin Hera über die keusche Sitte des Hauses
wacht und Hestia nicht die heilige Ordnung des Familienlebens schützt.
Hestia ist Zeus Schwester, eine jungfräuliche Göttin der Erde; die
Erde war aber im Glauben der Alten die Grundlage des Weltalls, in
ihren höchsten Bergen hinaufragend in das reine himmlische Feuer;
daher ist sie die Göttin des reinen Feuers, die Personification der hei¬
ligen Weltordnung, der heiligen Bande der Familie und des Staates,
der auf dem Herde des Hauses wie auf dem Altäre ihres Tempels
das heilige Feuer brannte. Das Erdfeuer, die elementare Kraft, deren
Thätigkeit sich in Griechenland und Vorderasien vor Zeiten noch stärker
kundgab als heutzutage, war in Hephästus, dem Sohne des Zeus
und der Hera (alles Feuer stammt ursprünglich vom Himmel, glaubte
man), personisiciert; er war der Meister der kunstvollen Arbeit in Me¬
tallen, daher ein wohlthätiger Gott.
§ 188. Der Beherrscher des Meeres war Zeus Bruder Po sei- Mecrgötter.
don, ein gewaltiger, leidenschaftlicher Gott, der mit seinem Dreizacke
die Erde in ihren Grundfesten erschüttert, besonders von Seefahrern,
von den Bewohnern der Inseln und Küsten verehrt; sein Gefolge bildet
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