14. Aristeides von Athen.
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seinen Weg für sich allein; er wollte nicht durch die Wünsche
und Interessen von Parteigenossen sich beirren, nicht durch Partei¬
getriebe zu ungerechten Handlungen sich verleiten lassen. Sein
Grundsatz war, daß der rechtschaffene Bürger einzig und allein
sich auf die Güte und Gerechtigkeit seiner Handlungen und Worte
verlasse. Wie er im öffentlichen Leben von Verpflichtungen der
Freundschaft nichts wissen wollte, so widerstand er auch, wo es
das Recht galt, den Regungen, des Hasses und des Zornes. Als
er einst einen Feind vor Gericht verklagt hatte, und die Richter
sogleich nach seiner Anklagerede zur Verurtheilung schreiten woll¬
ten, sprang er auf und bat zugleich mit seinem Gegner, daß
man auch diesem'Gehör schenke und sein Recht widerfahren lasse.
Ein andermal, da er einen Rechtsstreit zwischen zwei Bürgern
zu entscheiden hatte und der eine sagte, sein Gegner habe dem
Aristeides viel Böses zugefügt, versetzte er: ,,Sage vielmehr, mein
Freund, was er dir zu Leide gethan, denn in deiner, nicht in
meiner Sache bin ich Richter."
Ein solcher Mann genoß natürlich das unbedingte Ver¬
trauen seiner Mitbürger. Die Bürger hatten eine solche Zuver¬
sicht zu seiner Unparteilichkeit und gewissenhaften Redlichkeit, daß
sie in ihren Proeessen lieber seinen Schiedsspruch suchten, als
den der vom Staate bestellten Richter. Als am Dionysosfeste
des Jahres 470 die Tragödie des Aeschylos: „Die Sieben gegen
Theben" aufgeführt wurde und der Schauspieler die auf Amphia-
raos bezüglichen Verse sprach:
„Denn nicht gerecht nur scheinen will er, sondern sein;
Er erntet aus der tiefen Furche seiner Brust,
Draus ihm hervorsprießt vielbewährten Rathes Frucht —"
da wendeten sich unwillkürlich die Blicke aller Zuschauer auf
Aristeides, weil es anerkannt war, daß ihm vor Allen ein sol¬
ches Lob zukam.
Aristeides schloß sich beim Beginne seiner politischen Lauf¬
bahn dem Kleisthenes an, der nach der Vertreibung der Peisi-