Full text: Geschichte des Mittelalters (Bd. 2)

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Das heilige römische Reich deutscher Nation. 
alle Angelegenheiten des Gaues behandelt. Diese Versammlungen wur¬ 
den viermal im Jahr und an vier verschiedenen Orten abgehalten, damit 
alle erscheinen konnten. Die Gerichte waren wie vordem öffentlich; Karl 
führte aber an die Stelle der alten Urtheilsfinder Schöffen ein (scabini), 
welche auf dieselbe Weise wie jene gewählt wurden (von den Sendboten, 
Grafen und Centgrafen mit Zustimmung der Freien), aber da sie ständig 
angestellt waren, überhob sich das Volk allmählig der Verpflichtung, an 
dem Gerichte selbst Theil zu nehmen. Auch wurden die Gerichtstage des 
Gaues auf drei beschränkt und nur bei Anklagen außerordentliche abge¬ 
halten. Insofern verlor sich unter ihm die alte Gerichtsweise, die mehr 
Volkssache gewesen war, aber weder überall, noch durch seine Schuld, 
sondern erst in der Folge, als durch die Abnahme der Freien die alten 
Rechte verschwinden mußten. Karls Kapitularien, die auf Reichs- und 
Landtagen mit den Edlen verabredeten Beschlüsse, beweisen am besten, 
wie wenig er gegen die Freiheit und die Rechte des Volkes war; denn 
sie wurden ausdrücklich den Gauversammlungen zur Annahme vorgelegt, 
wodurch sie erst Gesetzeskraft erhielten. 
Karls Verwaltung. 
Er hielt darauf, daß die Abgaben pünktlich entrichtet wurden; 
was ihm zukam, verlangte er und benutzte es mit weiser Sparsamkeit; 
er ist etite Bestätigung des Satzes, daß ein großer Regent immer auch 
ein tüchtiger Staatswirtb ist. Es gab keine Reichssinanzen, sondern 
eine kaiserliche Schatzkammer zu Aachen. Karls Einkommen bestand in 
der Grund- und Personensteuer, die keine allgemeine war und haupt¬ 
sächlich die Nachkommen der römischen Provinzialen traf, in Zöllen, 
Strafen, Konfiskationen, in den Tributen unterworfener Völker, in 
Naturallieferungen, in Geschenken und wahrscheinlich auch in der Kro- 
nenfteuer (ae8 coronarium unter den Cäsaren). Der Graf war der 
Fiskalbeamte des Kaisers; unter dem Grafen stand der Centenarius 
(Centgraf, obwohl der Titel Graf diesem Beamten wohl nie zukam); 
die Grafen und Centenarien kontrolierte der Pfalzgraf, oder der missus 
dominicu8, später Kammerbote, nuntiu8 camerae, genannt. Die 
Grafen wachten also nicht nur über das Heer- und Gerichtswesen, 
sondern auch über die Verwaltung, über Straßen und Brücken und 
die öffentliche Sicherheit. Dafür gab ihnen der Kaiser Lehen, und 
die Gauleute leisteten Naturalabgaben, Vorspann und freie Herberge; 
von den gerichtlichen Bußen fiel den Grafen ebenfalls ein Antheil zu. 
Ohne mannigfaltige Abgaben war also das freie Volk in alter Zeit nicht. 
Der Kaiser besaß eine sehr große Anzahl Höfe, die ihm als 
Eigenthum gehörten (ein solcher Hof hieß curti8, terra dominica; 
abhängige Höfe, von freien oder leibeigenen Bauern bewirthschaftet,
	        
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