496
Die Zeit von 1815 bis 1857.
beiden Hessen, Nassau w. hatten liberale Deputiertenkammern gewählt,
die nicht mehr wie früher die verlangten Steuern bewilligen und die
vorgelegten Gesetzesentwürfe annehmen oder ablehnen, sondern die sog.
parlamentarische Negierungsweise einführen wollten. Daran fanden
wenige Fürsten Geschmack, und wo die Regierung mit den Kammern
nicht selbst fertig werden konnte oder wollte, da schritt der deutsche Bund
(d. h. Oesterreich und Preußen) ein. Bundesbeschlüsse z. B. hoben die
badische Preßfreiheit auf, verboten Zeitungen, die trotz der Censur im
Oppositionsgewande einhergingen, setzten Austrägalgerichte (Schieds¬
gerichte) ein für den Fall, daß eine Regierung mit ihren Ständen nicht
ins Reine kommen könnte, sprachen endlich den Ständen das Recht der
Steuerverweigeruug gänzlich ab. In den Verfassungsurkunden aber steht
geschrieben, daß die Stände das Steuerbewilligungsrecht haben; wer be¬
willigen kann, der kann offenbar auch verweigern, der Bundesbeschluß
hob also den betreffenden Paragraphen der Verfassungsurkunden auf,
daher auch alle Anhänger des konstitutionellen Systems jenen Bundes-
tagsbeschluß als einen tödtlichen Streich gegen die Verfassungen erklär¬
ten und mehrere Deputiertenkammern, namentlich die württembergische,
gegen ihn protestierten. Der Bundesbeschluß rechtfertigt sich aber offenbar
dadurch, daß es unmöglich in der Gewalt der Mehrheit einer Deputier¬
tenkammer liegen darf, die möglicher Weise aus sehr unreinen Gründen
der Regierung opponiert, durch eine Verweigerung der Steuern den
geordneten Gang der Regierung zu hemmen, dieselbe zur Willfährigkeit
gegen die Mehrheit der Deputierten zu zwingen oder zur Erhebung un-
bewilligter Steuern, also zu einem Bruche der Verfassung, zu nöthigen.
Vor dieser Alternative schützten seitdem die Beschlüsse des Bundestags,
bewiesen aber zugleich, daß die neuen Verfassungen machtloses Papier
seien und nicht weniger, daß die Nachahmung des englischen Parlamen¬
tarismus für die kleinen und mittleren deutschen Staaten nichts tauge.
Von einem Steuerverweigerungsrechte in Bausch und Bogen war bei
den früheren deutschen Ständen keine Rede gewesen; die Negierung holte
nur die Bewilligung neuer oder außerordentlicher Steuern ein, indem
es sich von selbst verstand, daß dem Staate die nothwendigen Mittel
jederzeit zu Gebote stehen müssen. Bei dem gewöhnlichen Gange der
Verhältnisse genügten die üblichen und hergebrachten Steuern und Ein¬
künfte, die keiner ständischen Bewilligung unterlagen; unter außeror¬
dentlichen Umständen wurden aber auch außerordentliche Mittel verlangt,
wozu die Einwilligung der Stände erfordert wurde, die auch nie aus¬
blieb, wenn der Rechtszustand des Staates nicht erschüttert war. Von
1833 an erlahmte die Opposition in den Kammern, weil die Deputierten
sowohl als die Wähler die Nutzlosigkeit derselben einsahen; die Begeiste¬
rung für die Verfassungen, die sich an der Iulirevolution entzündet hatte,