Full text: Geschichte der neuen Zeit für Mittelschulen und zum Selbstunterricht (Theil 3)

Die Reformation in England. 
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Wittwe seines als Knaben gestorbenen Bruders Arthur, und lebte man¬ 
ches Jahr mit ihr in glücklicher Ehe. Anfangs war er Bundesgenosse 
Karls V. gegen Frankreich, später aber wurde er für Geld Frankreichs 
Alliierter, ohne ihm jedoch viel zu nützen. Die Schätze seines Vaters 
hatte er rasch verschwendet, denn er war ein leichtsinniger Mann und 
schlechter Haushälter. Er beschäftigte sich nebenher viel mit der Theo¬ 
logie und als Luther in seiner Schrift „die babylonische Gefangenschaft 
der Kirche" die Sakramente angriff, schrieb der königliche Theologe eine 
Gegenschrift, welche ihm von dem Papste den Titel „Defensor fidei“ 
eintrug, wogegen ihm Luther mit andern Titeln „Lügenmaul, grober 
Thomist, Narr, Eselskopf" u. dgl. aufwartete. 
Heinrich wurde seiner acht Jahre älteren Gemahlin überdrüssig und 
fing nach anderen Buhlschaften eine mit Anna Boleyn, einem schö¬ 
nen, leichtfertigen und ehrgeizigen Edelfräulein, an. Dieses that tugend¬ 
haft, weil es Königin sein wollte, und Heinrich bekam jetzt plötzlich 
Gewissensskrupel, daß seine Ehe mit seines Bruders Wittwe eine uner¬ 
laubte gewesen sei. Er drang auf Scheidung und wandte sich an den 
Papst Klemens VH.; allein in Rom verzögerte sich der Prozeß; Kaiser 
Karl V. wirkte für die Ehre seiner unschuldigen Verwandten, Franz von 
Frankreich gegen Karl, aber nicht für Anna Boleyn, da er den englischen 
König mit dem französischen Königshause zu verbinden wünschte. Das 
Spiel der politischen Ränke und Rücksichten dauerte der Anna Boleyn 
zu lange und sie rieth ihrem königlichen Liebhaber den Prozeß damit zu 
kürzen, daß er sich gleich den deutschen protestantischen Fürsten zum Kir- 
chenhaupt erkläre. Dies leuchtete ihm ein; das dienstwillige Parlament 
strafte zuerst die hohe Geistlichkeit Englands wegen angeblicher Ueber- 
tretung der Staatsgesetze, entzog dem Papst die Annalen und seine 
Oberhoheitsrechte über die Kirche, Heinrich aber beirathete Anna Boleyn 
und erklärte seine mit der verstoßenen Königin erzeugte Tochter Maria 
für unächt (1533). Des Königs Werkzeuge bei diesem unehrenhaften 
Handel waren der rechtsgelehrte Minister Thomas Kromwell und 
der neue Erzbischof Kranmer von Kanterbury, ein heimlicher Prote¬ 
stant und schon zweimal verheirathet. Letzterer entwickelte vor dem Par¬ 
lamente: „der König hat seine Sache vor dem Gerichte seines eigenen 
Gewissens untersucht, welches erleuchtet und geleitet ist von dem Geiste 
Gottes, der die Herzen der Fürsten bewohnet und leitet." Das Par¬ 
lament erklärte auf des gleichen Mannes Antrag die Prinzessin Maria 
der Thronfolge unfähig, hingegen Anna Boleyns Tochter Elisabeth 
zur Thronfolge berechtigt und in mehreren Artikeln den König als Haupt 
der englischen Kirche, welcher der Papst so wenig zu sagen habe als 
irgend ein fremder Bischof. Die verwerfenden Bullen des Papstes 
machten den König um so mißtrauischer, als er wohl wußte, daß sein 
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