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Solchem Schicksal gegenüber ist es vermessen, zn streiten, wie er als 
Herrscher geworden wäre. Tie auf ihn hofften, wollten an ihm sehen, tu ns sie 
am meisten begehrten, und die besorgt sein Wesen abschätzten, vermochten nicht 
zu beurteilen, was das Amt und die Herrschaft in einem gesunden Herrn 
an Kräften und Neigungen entwickelt hätten. Er war ein offener, redlicher 
Mann vou lauterem Sinn und warmem Gemüt, mit einem Herzen voll Menschen¬ 
liebe, mit der Fähigkeit, sich über alles Gute und. Große innig zn freuen. Er 
war so menschenfreundlich und gegenüber einem Leidenden so voll von Empfin¬ 
dung, daß auch die zahllosen bitteren Erfahrungen, welche die Großen der Erde 
über Unwert der Hilfesuchenden machen, ihm nicht den Anteil an dem einzelnen 
Fall beeinträchtigten. Gegen solche, welche er persönlich näher kannte, war er 
von der zartesten Aufmerksamkeit, er fühlte alles Widerwärtige, das sie traf, 
als treuer Freund in inniger Teilnahme mit. Er war im Grund seiner Seele 
weich und leicht erregt, ein Mensch von seltener Reinheit und Innigkeit. 
Er war ein warmer Protestant, in allen religiösen Fragen von einziger 
Duldsamkeit, und zn seinen stärksten Abneigungen gehörte die gegen engherzige 
Pfaffen. In der Staatsverwaltung widerstrebte ihm Polizeiherrschaft und Be- 
vormundung, den Gemeinden wünschte er ausgedehntes Selbstregiment, jeder 
ehrlichen Thätigkeit die freieste Bewegung. Das aber waren bei ihm Stim¬ 
mungen, denen die Kenntnis der Zustände im Volke nicht ganz entsprach, und 
es wäre ihm schwer geworden, seinen Willen gegenüber gewandten Einwürfen 
aufrecht zu erhalten. Tenn er war kein Geschäftsmann, fein Urteil war in 
großen Angelegenheiten nicht geprüft, und auch, wo er einmal lebhaft wollte, 
war er in der Ausführung abhängig und unsicher, zuweilen wehrlos gegenüber 
den Hindernissen; nach dieser Richtung war er mehr gemacht, geleitet zu wer¬ 
den, als andere zu führen. Er war sehr geneigt, die Selbständigkeit eines an¬ 
deren anzuerkennen, und man durste ihm gegenüber eine Überzeugung mit dem 
größten Freimut aussprechen, auch wenn sie seine eigenen Gedanken angriff. 
Er war aber auch geneigt, da, wo er behaglich erscheinen wollte, in Scherz 
und Ausdruck sich gehen zu lassen, und es begegnete ihm, daß sein scherzhaftes 
Wesen auf andere nicht wohlthuend wirkte, vielleicht deshalb, weil der Grundzug 
seines Wesens ernst war und er sich zu der guten Laune zuweilen nötigen 
mußte. Und er selbst war sehr empfindlich gegen jeden Verstoß anderer in der 
Form und verlangte auch in Kleinigkeiten Beachtung feiner Würde. Wenn er 
aber in sich selbst nicht fand, was ihn aus der Verstimmung oder aus klein¬ 
lichen Anschauungen heraushob, so war seine Seele um so empfänglicher für 
jeden Eindruck von außen, der schön und groß war, und für alle Anregung 
des Lebeus, die in ihm selbst ernste Gedanken weckte. Er wurde unablässig als 
schöne Heldengestalt gefeiert, und er selbst war wohl deshalb geneigt, seiner 
Erscheinung große Bedeutung zuzuschreiben und sich dieselbe je nach der Si- 
tuation und der Ausgabe, die er zu lösen hatte, zurechtzulegen. Aber das Ge¬ 
machte in Antlitz, Blick und Gebärde schwand dahin, sobald eine hohe Empfindung
	        
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