Full text: Geschichte des Alterthums für Mittelschulen und zum Selbstunterricht ([Theil] 1)

42 Die ältesten Völker bis zur Gründung der Persermonarchie. 
Weg von Karnak nach dem % Stunde entfernten Fellahdorfe Luror 
enthält zu beiden Seiten eine zahllose Menge von Sphynren (Symbol 
der Königsgewalt), Thierbildern, Säulen u. s. w. Das Dorf Luror 
ist ebenfalls auf eine Tempelrnine gebaut; seine 2000 Bewohner haben 
sich auf den Decken und Gallerien des Tempels eingeniftet, welche dennoch 
unbewohnt scheinen. Noch stehen 14 Säulen von 11 Fuß Durchmesser; 
vor dem Thore stehen zwei Statuen von rosenfarbenem Granit und 
ihnen gegenüber zwei Obelisken, 100 Fuß hoch, aber 30 Fuß im 
Sande steckend; das kieselharte Gestein ist ganz mit Hieroglyphen bedeckt 
und man muß über die Härte des Meißels staunen, der so festes Korn 
angriff, so wie über die Maschinen und die Arbeit, welche erfordert wur¬ 
den, solche ungeheure Massen aus den Steinbrüchen des östlichen Felsen¬ 
gebirges auszumeißeln, zu heben und an den Ort ihrer Bestimmung zu 
schaffen. Die Alten bewunderten ferner das Labyrinth, ein Gebäude 
mit 12 bedeckten Höfen, deren Thore einander gegenüber standen, 6 gegen 
Norden und 6 gegen Süden. Dasselbe zählte 1500 Gemächer über der 
Erde, und ebenso viele unter der Erde, in welche Herodot aber nicht ge¬ 
führt wurde, weil darin Begräbnisse waren. Wahrscheinlich war das Laby¬ 
rinth eine Darstellung des jährlichen Sonnenlaufes durch die 12 Zeichen 
des Thierkreises, und in eine obere und untere Hälfte getheilt, wie der 
Himmelsbogen sich auch in der einen Hälfte über der Erde wölbt, 
während die andere Hälfte unter der Erde ausgespannt ist. — Ein 
großes Unternehmen war auch der See Möris, 15 Meilen im Umfange, 
größtentheils durch Menschenhände gegraben; er war bestimmt bei der 
Ueberschwemmung des Nil das überflüssige Wasser aufzunehmen, welches 
später zur Bewässerung der Felder wieder abgelassen wurde, was eine 
bedeutende Kenntniß im Wasserbau bei den ägyptischen Priestern voraus¬ 
setzt. Das Alterthum schrieb diesen überhaupt Außerordentliches zu, 
nicht bloß in der Astronomie und Geometrie, Geschichtskunde und gesetz¬ 
geberischen Weisheit, sondern es glaubte dieselben im Besitze großer Ge¬ 
heimnisse der Natur, durch die sie zaubern könnten, und man erzählte eine 
Menge angeblich beglaubigter Beispiele. Dies erinnert sehr an die 
Chaldäer, und wenn man ferner weiß, daß die Priester eine ziemliche 
Anzahl Orakel in ihren Tempeln hatten, durch welche sie die Götter 
zu den Menschen reden lassen konnten und wirklich jedesmal so reden 
ließen, wie es der Priesterpolitik angemessen war, so müssen wir zugeben, 
daß die ägyptischen Priester ihr Volk in vielen Dingen geflissentlich in 
Unwissenheit erhielten. So war auch ihre öffentliche Schrift geheimniß- 
voll; es ist dies die Hieroglyphen- oder Bilderschrift. Gewöhnlich wird 
angenommen, daß die Bilderschrift der Anfang aller Schrift gewesen 
sei; möglich wäre es, erwiesen ist es nicht, jedenfalls war die ägyptische 
Bilderschrift nicht der Uebergang zur Buchstabenschrift, denn die Priester
	        
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