Full text: Geschichte des Alterthums für Mittelschulen und zum Selbstunterricht ([Theil] 1)

Die Wissenschaft. 
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Mogistische Form der Scholastiker, wobei übrigens nicht zu vergessen 
ist, daß ein Anselm von Kanterbury, Bonaventur und andere sich keines¬ 
wegs in den Formen des strengen Syllogismus, sondern in freieren be¬ 
wegten. 
Die Scholastiker theilten sich allmälig und immer schroffer in zwei 
Lager, in das der Nominalisten und Realisten; erstere hielten die All- 
gemeinbegrisse (universalia) lediglich für Gedankendinge, leere Namen, 
weil es in der Wirklichkeit nirgends allgemeine Begriffe, Gattungen 
und Arten, sondern nur lauter Einzeldinge gebe, die wir mit unfern 
Sinnen wahrnehmen und vorstellen; sie leugneten damit folgerichtig das 
Vorhandensein von Vernunftbegriffen; die Realisten dagegen vertheidigten 
die Wirklichkeit der Allgemeinbegriffe, damit aber der Vernunftbegriffe und 
ließen somit der Vernunft ein selbständiges Gebiet des Erkennens. Der 
Nominalismus mußte zuletzt dazu führen, daß man alle natürliche Erkennt- 
niß auf die Erfahrung beschränkte und allmälig die Erperimentalerkennt- 
niß für die einzig wahre hielt; im Gebiete der Theologie wurde er ge¬ 
fährlich, denn er gebar die Unterscheidung zwischen rein theologischer und 
mittelbar theologischer Wahrheit und bald den Satz, daß etwas theologisch 
unwahr sein könne, was philosophisch wahr sei; auch dies mußte zum 
Bruche führen, weil nichts unwahr und wahr zugleich sein kann. War 
schon Roscelin, den man als den frühesten Nominalisten bezeichnet, auf 
den Tritheismus (Dreigötterei) gerathen und 1092 von einer Synode 
zu Soissons zum Widerrufe gezwungen worden, so entbrannte der Kampf 
zwischen Nominalisten und Realisten (Thomisten, Skotisten) um so hef¬ 
tiger, weil die nach Abälards Vorgang nach einer Vermittlung der 
Gegensätze Strebenden auf neue Abwege geriethen. Durch Okkam (gest. 
zwischen 1343—1350) siegte zuletzt der Nominalismus, aber Okkam und 
seine Schule versetzten durch ihre sensualistische Erkenntnißtheorie nicht 
nur den Allgemeinbegriffen, sondern überhaupt der mittelalterlichen Scho¬ 
lastik einen tödtlichen Stoß. Die Okkamisten bekümmerten sich wenig 
mehr um die göttliche Offenbarung, ihre Gegner noch weniger darum, 
daß der Offenbarungsglaube mit der fortschreitenden Wissenschaft fort¬ 
während weiter vermittelt werde. Jetzt erst trennte sich von der leben¬ 
digen Wissenschaft mehr und mehr die scholastische Theologie als ein 
verknöchertes System, an die Stelle genialer Theologen traten dialek¬ 
tische Künstler und breite, langweilige Kommentatoren. 
Früher hatte sich die Mystik von der Scholastik zumeist nur 
durch ihre vorherrschend praktische Richtung unterschieden, ihr vornehm¬ 
stes Interesse hieß, das christliche Bewußtsein für sich und andere zur 
Quelle des Lebens in Gott zu machen, die Wissenschaft sollte Mittel 
für diesen Zweck sein, seit dem 14. Jahrhundert aber wandten sich die 
Mystiker (Meister Eckhart, Suso, Tauler, Gerhard u. a.) begreiflicher- 
Bumüller, Gesch. b. Mittelalters. 14
	        
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