Einleitung.
©te Aufgabe der Geschichte ist es, das Leben der Völker durch Wort
und Schrift zu bewahren, damit die Thaten und Schicksale der Menschen
nicht ungenützt im Strome der Zeiten untergehen, sondern, zur Lehre für
Viele und zum Frommen des Einzelnen, von Geschlecht zu Geschlecht ge¬
treulich überliefert werden. Denn nur an dem Bilde des menschlichen
Lebens im Großen mag auch der einzelne Mensch sich selbst und sein Ver-
hältniß zum Ganzen prüfen und in dem Blick auf die Vergangenheit lernt
er die Gegenwart verstehen und für die Zukunft sorgen. Vor Jahrtau¬
senden schon haben edle und geistvolle Männer ihr Leben in gewissenhafter
Forschung dem Studium der Geschichte zngewandt und durch ihre unsterb¬
lichen Bücher die Bahn eröffnet, auf welcher, in steter Folge, bis auf
unsere Zeiten unablässig vorwärts gestrebt worden ist.
Begreiflicher Weise muß die Arbeit des Geschichtsschreibers in unseren
Tagen eine andere sein, als zu der Zeit, da der alte griechische Herodot
sich aufmachte, die Länder zu durchwandern, deren Geschichte, Sitten und
Gebräuche er darstellte, so, wie seine lebendige Anschauung es ihm eingab.
Die unendliche Menge von Wissen und Erfahrung, welche in dem Lause
der Jahrhunderte sich ansammelte, hat die Aufgabe vervielfältigt und neue
Verfahrungsarten nothwendig gemacht. Jeder einzelne Bestandtheil der
Geschichte ist eine Wissenschaft für sich geworden. Erd- und Länderkunde,
vergleichendes Sprachstudium, Staats- und Rechts-, Religions- und Kul¬
turgeschichte, Handel, Industrie, Kunst und Wissenschaft haben sich in jedem
Lande, nach klimatischen und individuellen Eigenthümlichkeiten, auf verschie¬
dene Weise entwickelt. Jedes Fach, jede Zeitgeschichte füllt für sich allein
ein Menschenleben in mühsamer, selbstvergessender Arbeit aus. Der Ge-
schichtsorscher sammelt die Menge des überlieferten Stoffes; er ordnet,
sichtet, wägt ab, vergleicht; und indem er versucht von einer feststehenden
Thatsache auf andere noch dunkle und ungewisse Punkte zu schließen, füllt
er die vorhandenen Lücken durch erläuternde Beweismittel und stellt selbst-
Oeser's Weltgeschichte. I. 5. Aufl. 1