Full text: Mit einem Stahlstich (Bd. 1)

462 Drittes Hauptstäck. 
wenn man einen billigen Frieden mit den Nachbarn auf. 
recht erhalte, sondern im Gegentheile die Bereitwilligkeit, 
jeden Augenblick durch alle erdenklichen Mittel dem Nach, 
bar zu schaden, und daher die Furcht oder vielmehr die 
Gewißheit, daß dieser nichts Besseres im Sinne führen 
werde. Dabei glaubte Jeder das Recht auf seiner Seite 
zu haben, weil er nur den zugedachten Streich abwenden 
oder ihm zuvorkommen wolle. In solcher Absicht forschte 
man sich gegenseitig aus, unterhandelte, schloß Bündnisse, 
brach die beschwornen Verträge und trug ohne Zweifel 
ein Bubenstück im Herzen, wenn man die Mienen der 
Freundschaft annahm. Dadurch wurde der öffentliche 
Verkehr immer unsichrer, verworrner, zumal da in Asien 
eine Reihe kleinerer Staaten,.von der großen syrischen 
Monarchie sich absonderte, und in Griechenland dem achäi- 
schen Bunde ein ätolischer gegenübertrat. Wurde ernst, 
lich gewünscht, daß eine Verbindung von Dauer, oder 
auch nur solange zuverlässig seyn mochte, bis ein gewisser 
Zweck erreicht wäre, so suchte man den Andern, weil ge¬ 
wöhnliche Mittel nicht ansreichten, durch die heiligsten 
Verpflichtungen oder die stärksten Reitze zu fesseln, indem 
man eine Tochter oder Schwester zur Ehe nahm oder 
gab. Weil Fälle dieser Art wiederholt eintreten konnten, 
auch die politische Heirath hie und da durch eine Wahl nach 
Neigung gekrcutzt wurde, so kam es gar nicht selten vor, 
daß macedonische Fürsten zwei und mehrere Frauen zu. 
gleich hatten. Und doch gelangte man hiedurch ebenso 
wenig als aus andern Wegen zum Ziele: Mißtrauen und 
Herrschsucht waren stärker als die Bande des Blutes, und 
der einzige Erfolg bestand zuletzt darin, daß die Zwietracht 
ins Jnnre der Familien drang, und das Heiligthum des 
Heerdes nicht minder frech entweiht wurde, als man durch 
Meineid an den öffentlichen Altären frevelte. In der 
That, wenn wir die Züge zusammenfassen, welche das
	        
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