Full text: Mit einem Stahlstich (Bd. 5)

Montesqulenr. Voltaire, Rousseau u. d. Cncvklopädlsten. 523 
spendete er Schmeicheleien wie folgende, hinsichtlich der 
vorhin erwähnten Einladung: „Das sind Engelsworte! o 
Gott, solche Worte sind' der höchste Inbegriff allererha¬ 
benster, sanftester und schmelzendster Liebenswürdigkeit 
auf Erden! Aber wie wäre cs, wenn ich nach Peters¬ 
burg oder Zarskoe-Sclo käme? Die Monarchin würde 
vielleicht auf einen Augenblick neugierig fcyn, wenn man 
ihr sagte, Zimmermann sey vor der Thüre; und dann, 
wenn sie mich gesehen hätte, würde sie sagen: inon vieu, 
nest-ce que cela? Diesen Abschied könnte ich von allen 
Kaisern und Königen in der Welt gar wohl ansstehen; 
aber ein solches Wort aus solchem Munde würde mich 
auf der Treppe von Zarskoe-Sclo tödten!" Aus mehre« 
ren unverdächtigen Stellen bei Weikhard sieht man deut¬ 
lich, daß Katharina den eitcln Manu innerlich verachtete; 
aber sie erthcilte ihm den neugestifteten Wladimir-Orden, 
worauf er durch die Bitte angespielt hatte, daß er ihr 
Bildniß im Wladimir-Ordenssaal copiren lassen dürfe, 
und sie führte Jahre lang eine vertrauliche' Korrespon¬ 
denz mit ihm, welche weit und breit Aussehen erregte. 
Warum Ließ alles? Offenbar, weil sie auch in Deutsch¬ 
land über einen renommirteu Schriftsteller wollte verfü¬ 
gen können. In Rußland konnte sie jede Spur, die an 
ihren entthronten Gemahl erinnerte, gewaltsam vertil¬ 
gen: den Fremden gegenüber bedurfte sie eines gefälligen 
Schleiers, der die Greuel ihrer Thronbesteigung verhüllte, 
und einen solchen wob ihr die geschickte Hand geld- und 
ehrgeitziger Schriftsteller. Mochte sich dann Polen unter 
ihrer Ferse krümmen: Voltaires Lob wurde weiter ge¬ 
hört als der halbunterdrückte Todesschrei einer zertretnen 
Nation. Unterthanen des osmanischen Reichs sehnten 
sich, unter ihrem Zepter zu stehen, wenn sie immer und 
überall die Milde, die Großmüthige, die Göttliche ge¬ 
nannt wurde, und unvermerkt schien sich ganz Europa 
einer nordischen Diktatur schmiegen zu wollen, die kaum 
ihres Gleichen in der Geschichte hat. Also üm des De¬ 
spotismus willen liebäugelte Katharina mit den Aposteln
	        
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