Object: [Teil 3 = Kl. 6] (Teil 3 = Kl. 6)

222 
Haupt mit der Hand empor und klagte: „O weh, dich fällte Mörderhand!" 
Mit ihr weinte das ganze Gesinde. Boten aber holten Siegfrieds Ritter 
und den alten Vater herbei. Da erhob sich ein starkes Jammern von 
allen Seiten im Palast und in der Stadt Worms; denn allen war der 
Held teuer gewesen. Besonders aber jammerte Siegmund, der alte 
König, welcher nun des herrlichen Sohnes beraubt war. Niemand 
konnte ihn und Kriemhild trösten. Man mußte jedoch daran denken, 
den Toten zu bestatten. Es wurde ein Sarg bereitet von Silber und 
Gold, in ihm trug man den Helden in der Frühe zum Münster unter 
dem Klange der Glocken und dem Gesäuge der Geistlichen. Unter dem 
Gefolge befand sich auch Gunter und selbst der treulose Hagen. Um 
den Mörder vor allen Leuten zu überführen, sprach Kriemhild: „Wer 
unschuldig ist an dem Morde, der trete getrost an den Toten heran; 
wenn aber der Mörder in der Nähe ist, so werden die Wunden wieder 
bluten." Als nun Hagen herantrat, floß das Blut wieder so stark aus 
den Wunden, wie zuvor, als Siegfried getötet wurde. Da erkannten 
alle, daß Hagen der Mörder war. Mit großer Pracht und unter lautem 
Weinen und Klagen des Volkes wurde Siegfried in Worms begraben. 
— Traurig kehrte König Siegmnnd nach Niederland heim, um für den 
Enkel zu sorgen, Kriemhild aber blieb in Worms zurück und sann Tag 
und Nacht darüber nach, wie sie den Tod ihres teuren Mannes an den 
Mördern rächen könnte. So lebte sie in der Stille dreizehn Jahre. 
Um sie zu versöhnen, ließ Gunter den großen Schatz, den Hort der 
Nibelungen, nach Worms bringen und lieferte ihn der Schwester aus. 
Als sie nun aber reiche Spenden von diesem Schatze gab, fürchtete 
Hagen, sie werde sich mit dem Gute zu viele Freunde erwerben; daher 
raubte er ihr den Hort und versenkte ihn tief in den Rhein. Durch 
diese Gewalttat wurde Kriemhild aufs neue zur Rache entflammt. 
II. Kriemhildens Rache. 
1. 
Fern im Lande der Hunnen wohnte der mächtige König Etzel, 
der über viele Reiche und Könige gebot. Da hörte er von der Schön¬ 
heit der Kriemhild im Burgundenland und beschloß, um sie zu werben. 
Der Markgraf Rüdiger von Bechlaren übernahm die Werbung und 
erschien in Worms. Wohl waren die Brüder geneigt, die Schwester 
fortziehen zu lassen, nur Hagen riet entschieden davon ab; denn er 
fürchtete Unheil. Kriemhild selbst antwortete dem Boten: „Wenn Ihr, 
Markgraf Rüdiger, meines Herzeleids kundig wäret, so würdet Ihr mir
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.