226
Czar sein, aber vergönnt mir, daß mein geliebter Bruder Peter
mit mir regiere!" Da die Strelitzen nichts dagegen hatten, so
mußte auch Sophie es sich vorerst gefallen lassen, daß beide
zu Czaren gekrönt wurden. Weil beide noch minderjährig
waren, so blieb sie ja doch Negcntin.
Zwei Jahre nachher entstand eine neue Empörung der
Strelitzen gegen den Czar Peter. Seine Mutter floh mit ihm
nach einem festen Kloster in der Nähe von Moskau. Dahin
folgten auch die Meuterer. Das Kloster wurde erstürmt, und
der junge Czar am Altäre der Kirche, wo die Mutter schützend
ihre Arme um ihn schlang, entdeckt. Schon war einer im Be¬
griffe, ihm den Dolch in's Herz zu stoßen, als ein anderer
hcrzuspraug, mit den Worten: „Halt! Bruder, nicht hier am
Altäre; er wird uns ja doch nicht entgehen!" Das rettete den
Czar; denn eben jetzt erschien Reiterei, und der Haufen der
Strelitzen stäubte vor Schrecken auseinander. Ihr früherer
Trotz verwandelte sich nun in die äußerste Zaghaftigkeit und
Demuth. Der Hof versprach ihnen Verzeihung, wenn sie die
Anstifter der Empörung ausliefern würden. Das geschah, und
noch mehr. Sie begaben sich, viertausend an der Zahl, in
einem langen Zuge nach dem Palaste. Je zwei und drei trugen
einen Block, und ein dritter ein Beil. Viele von ihnen erschie¬
nen mit einem Stricke um den Hals, und ihre Weiber und
Kinder gingen weinend vor ihnen her. Vor dem Fenster, wo
die Czare standen, hielt der Zug. Hier bekannten sie alle laut
ihre Schuld und legten, wie verurthcilte Missethäter, ihre Köpfe
auf die Blöcke. Allein nur dreißig der Hauptschuldigen wurden
verurtheilt und enthauptet, alle übrigen aber begnadigt.
Die Ruhe war wieder hergestellt, und Sophie führte das
Sceptcr noch sieben Jahre lang, während der junge Peter in
einem kleinen Dorfe, Prcobraschenskoi, in der Nähe von Moskau
sich aufhielt und dort den Grund zu seiner zukünftigen Größe legte.
Er war ein kräftiger, feuriger Jüngling voll Wißbcgierde und
Durst nach Thaten. Sein Liebling war Le Fort, ein Kauf¬