Full text: Die Geschichte des Mittelalters (Bd. 2)

10 I. Deutschland vor der Völkerwanderung. 
hing man Blumenkränze auf und warf Kränze und Sträuße in die hei¬ 
lige Flut. 
Priester. Der deutsche Priester hieß mit einem schönen Namen 
éwart, éwarto, d. h. der Pfleger und Hüter, der Wart des Gesetzes, 
denn éé, éa ist Gesetz. Dies Gesetz haben wir hier im ausgedehnte¬ 
sten Sinn des Wortes zu verstehen, cs ist das göttliche wie das mensch¬ 
liche Gesetz gemeint, denn beide waren einst genau verbunden und gleich 
heilig. Es liegt also schon im Namen des altdeutschen Priesters, daß 
er sowohl des Gottesdienstes als des Gerichtes zu warten hatte. In 
den Heerzngcn sah das Alterthum eine durch die Gegenwart der Gott¬ 
heit und deren Einwirkung geheiligte, den Göttern besonders angenehme 
Handlung, eine Art von Gottesdienst. Die Priester holten vor der 
Schlacht die Bilder und Symbole der Götter aus den heiligen Hainen 
und trugen sie mit in den Kampf. Wohl leitete der Feldherr die 
Schlacht, aber die Priester nährten die Begeisterung der Kämpfenden, 
sie allein hielten die Zucht und durften Strafe über den Feigen ver¬ 
hängen, ihn binden, selbst schlagen. Ebenso waren sie als unmittelbare 
Diener der Gottheit bei allen öffentlichen Handlungen thätig, welche zur 
Ehre der Götter verrichtet wurden, oder unter Anrufung der Götter 
geschahen. Sie verrichteten die feierlichen Gebete, tödteten die Opfer- 
thiere, brachten den Göttern ihren Theil daran dar und vertheilten 
Fleisch unter das Volk; sie weihten die Könige und Leichen, wahrschein¬ 
lich auch die Ehen, nahmen die Eide ab und sprachen die Weissagungen 
aus dem Gewieher öffentlich unterhaltener Rosse, oder aus geworfenen 
Loosen, oder aus den Eingeweiden der Opferthiere aus. Das Geschäft 
der Weissagung tritt jedoch mehr als den Frauen zustehend hervor, als 
ein hauptsächliches Amt der Priest crin neu. Schon Tacitus meldet, 
daß nach deutschem Glauben den Frauen etwas Heiliges und Vorahnen¬ 
des innewohne, und daß die Deutschen weder ihren Rath verachteten, 
noch ihre Aussprüche vernachlässigten. Und bereits Cäsar sagt, daß bei 
den Germanen die Hausfrauen durch Loos und Weissagung entschieden, 
ob man zur Schlacht schreiten dürfe oder nicht. Wohnte diese Gabe 
der Vorherverkündigung schon den Frauen im Allgemeinen bei, dann 
hatten ohne Zweifel die eigentlichen Priesterinnen sie in erhöhtem Grade; 
sie erscheinen darum auch vor allen hochgeehrt, man betrachtete sie nur 
mit größter Ehrfurcht wie Gottheiten. So jene bructerische Jungfrau, 
die weithin durch ihr hohes Ausehen herrschende Veleda, welche einfl den 
Deutschen Sieg, den römischen Legionen aber Verderben vorherverkündet 
hatte, die von hohem Thurm herab, den sie bewohnte, gleich einer Götter¬ 
botin ihre Orakel den rings ehrerbietig harrenden und reiche Gaben 
darbriugenden Gesandten der Ubier spendete.
	        
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