Full text: Die Geschichte des Mittelalters (Bd. 2)

47. Heinrich III. 
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selbst das Scepter ergriffen. Der junge König hatte noch nicht das 
22. Jahr überschritten, aber er zeigte eine bewunderungswerthe Reife 
des Urtheils und eine Weite des Blickes, wie sie sonst nur lange Uebung 
in den Künsten der Herrschaft zu gewähren pflegt. Er besaß alle die 
trefflichen Eigenschaften seines Vaters, denselben scharfen Verstand, die¬ 
selbe Gerechtigkeitsliebe und denselben persönlichen Muth; auch das 
stolzeste Bewußtsein von der Bedeutung seiner unvergleichlichen Stellung 
und den Trieb, sie seiner Nachkommenschaft zu erhalten, hatte er vom 
Vater ererbt. Mit dem feurigsten und edelsten Willen, das Größte 
und Beste zu vollbringen, verbanden sich jetzt zu guter Stunde auch 
die reichsten Mittel. Niemals hatte noch ein deutscher Fürst eine Macht 
überkommen, wie sie Heinrich zufiel. Nicht allein, daß er die könig¬ 
liche Gewalt in Deutschland, Burgund und Italien unbestritten empfing; 
auch die hohe Aristokratie Deutschlands war niemals tiefer gebeugt, 
niemals der Clerus von der Krone abhängiger gewesen, als in diesem 
Augenblicke. Das Herzogthum schien fast vernichtet; in Baiern, Schwa¬ 
ben und Franken war die herzogliche Gewalt geradezu an die Krone 
gefallen, Kärnthen war durch Konrad's Tod erledigt und wurde vor¬ 
läufig nicht von Neuem ausgethan; nur in Sachsen und Lothringen 
hatte sich noch die nationale Bedeutung des Herzogthums erhalten. 
Ueberdics gab es unter den anderen Königen Europa's keinen von her¬ 
vorragender Bedeutung. Knut der Große und Stephan der Heilige 
waren aus dem Leben geschieden, ohne ihrer würdige Nachkommen zu 
hinterlaffen; das polnische Reich Boleslaw's war in der vollständigsten 
Auslösung, das französische Königthum seit geraumer Zeit in der kläg¬ 
lichsten Ohnmacht. Auch war keine kirchliche Macht vorhanden, die 
dem Kaiserthum Gefahr drohen konnte. 
Sobald der neue König die letzte Sohnespflicht gegen den Vater 
erfüllt hatte, begann er seinen Umritt im Reiche. 
Nichts lenkte bei diesem Zuge durch das Reich mehr die Aufmerk¬ 
samkeit des jungen Königs auf sich, als die Verhältnisse des Ostens, 
die von Neuem eine bedrohliche Wendung nahmen. Das gewaltige 
Reich Boleslaw Chrobry's war zerstört, aber auch aus seinem Ruin 
erwuchsen dem Reiche noch Bedrängnisse und Gefahren. Der Herzog 
Dretislaw von Böhmen, ein Fürst voll hochherziger Gesinnungen, 
glänzender Eigenschaften und lebendigen Glaubeuseifers, hatte sich zur 
Aufgabe seines Lebens gemacht, durch die Eroberung des zerrütteten 
Polen eine freie und unabhängige Königsmacht zu gründen und die 
schon beginnende Rückkehr der Polen zum Heidenthum zu hemmen. 
Prag sollte die Metropole dieses mächtigen christlichen Reiches werden, 
welches alle westlichen Stämme der Slaven verbände. Wirklich gelang 
es dem tapferen Böhmenherzoge, Gnesen, die Hauptstadt Polens in 
der glänzenden Zeit Boleslaw's, zu erobern, die Schätze Polens und 
insbesondere den Leichnam des h. Adalbert nach Böhmen zu schaffen. 
Aber ein solches unabhängiges, böhmisch-polnisches Slavenreich mußte 
uothwendig einen Kampf mit dem deutschen Reiche Hervorrufen, welches
	        
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