292 Zweiter Zeitraum des Mittelalters: 752—1096.
Nicht sehr lange blieb Raymund in Portugal; ihm wurde zur Ver¬
waltung das Königreich Galizien übertragen; sein Nachfolger aber in
der Grenzgrafschaft Portugal war sein Verwandter Heinrich (Ende
1094), ein burgundischer Graf von Besanyon, Enkel Robert's von Nie-
derburgund. Alfonso VI. hatte ihn mit seiner natürlichen Tochter The¬
resia verheirathet und gab ihm die Grafschaft Portugal, d. h. die zwi¬
schen dem unteren Tajo und dem Minho gelegenen Landstriche, zwar
nicht als unabhängige Herrschaft, aber als ein Lehen des castilischcn
Reiches, das sich auf seine Nachkommen vererben sollte. Heinrich's Ge¬
mahlin aber führte als königliche Prinzessin den Namen Königin;
denn so nannte man nicht nur die Schwestern der castilischcn Könige,
sondern auch die Töchter. Hauptstadt der Grafschaft war Coimbra.
Das Testament Alfonso's VI. bestätigte Heinrich als Grafen von
Portugal und sicherte das Land seinen Nachkommen zu, ob mit oder
ohne Abhängigkeit von Castilien, ist ungewiß, aber höchst wahrscheinlich
ist, daß über die Lehensunterwürfigkeit Portugals nichts von Alfonso VI.
in dem Testamente ausdrücklich war verfügt worden.
64. Das iiMiüinische Reich.
(Nach W. Assmann, Geschichte dcö Mittelalters, und W. Wachsmuth, euro¬
päische Sitteugeschichte.)
Das Fortbestehen des byzantinischen Reiches schien in den
Jahrhunderten von Karl dem Großen bis ans den Anfang der Kreuz¬
züge noch weit mehr gefährdet, als in den Zeiten der Völkerwanderung,
deren Richtung sich glücklich genug von demselben abgewandt hatte, und
an deren Schlüsse die Regierung Justinian's dem Reiche neuen Glanz
verlieh. Denn seitdem war die Zerrüttung im Innern, wie die Ge¬
fahren von außen in beständiger Zunahme. Die Thronwechsel waren
größtentheils gewaltsam und erst seit dem Jahre 867 vermochte die
macedonische Dynastie den Thron auf längere Dauer zu behaupten
(bis 1056).
Der Bilderstreit (725—842) ging noch unmittelbarer von den
Inhabern des Kaiserthrones aus und griff tiefer in den Volksglauben
ein als die früheren dogmatischen Zwistigkeiten; und während diese noch
durch ökumenische Concilien ausgeglichen waren, kam cs nun zu einer
immer weiteren Trennung der griechischen Kirche von der römischen (861
und 1054), womit zugleich der Gegensatz zwischen dem Osten und dem
germanischen Westen befestigt wurde. Seit der Stiftung des Islam
(622) wurden die Gefahren, die dem Reiche von den fanatisirten Ara¬
bern drohten, immer dringender; alsbald aber begannen die Einfälle
der Barbaren aus dem Norden, der Bulgaren, welche seit 679 Mösien
besetzt hatten, und der Russen, seitdem diese 862 ihre Herrschaft über
Rußland ausbreitetcn.