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Vierter Zeitraum des Mittelalters: 1273—1492.
118. Lieg des französischen Lönigthurns über die Lehns-
aristokratie, besonders unter Ludwig XI.
(Nach Ernst Alexander Schmidt, Geschichte von Frankreich, bearbeitet vom
Herausgeber.)
Während Karl VII. die Wiedereroberung seines Königreiches, die
Vertreibung der Engländer aus demselben, vornehmlich den ausgezeich¬
neten Kriegsanführern verdankt, welche Frankreich zu seiner Zeit her¬
vorbrachte, kann man dagegen die friedliche, gesetzgebende, auf die inneren
Verhältnisse gerichtete Thätigkeit seiner Regierung mehr als sein eigenes
Werk betrachten. Ein halbes Jahrhundert hindurch war die Entwicke¬
lung des politischen Zustandes Frankreichs, welche mit der Regierung
Philipp's II. August begonnen hatte, gehemmt gewesen, Gewalt und
Willkühr war an die Stelle eines gesetzlichen Zustandes getreten und
der Wohlstand des Reiches war zu Grunde gerichtet, als Karl VII.,
die Grundsätze und Bestrebungen seines Großvaters Karl's V. wieder
ausnehmend, sich die Aufgabe stellte und auch lös'te, jene Entwickelung
weiter zu führen. Bereits, als das Haus Valois den Thron bestieg,
war die am Ende des Mittelalters sich vollendende innere Gestaltung
des französischen Staates zu einer Monarchie und im Wesentlichen
auch die Verknüpfung der Einwohner zu einem Volke auf solche Weise
vorbereitet, daß das Fortschreiten zu diesem Ziele wohl bisweilen awf
einige Zeit aufgehalten, nicht aber mehr verhindert werden konnte. Die
festeste Stütze der Macht der Vasallen, der Besitz ausgedehnter, den
unmittelbaren Kronländern an Umfang überlegener Landschaften, war
durch die Eroberungen Philipp's II. August und durch die Erwerbungen
Ludwig's des Heiligen und seines Sohnes vernichtet, die dadurch der
Krone zu Theil gewordene Macht wurde im 14. Jahrhundert noch durch
die Vereinigung der Champagne mit derselben und durch den Kauf der
Dauphins vermehrt. Das Königthum besaß ein so bedeutendes, un¬
mittelbares Besitzthum, daß es die Vasallen wenigstens nicht als über¬
legene Gegner zu fürchten hatte, zumal seitdem ihm in einem stehen¬
den Heere eine stets streitfertige Kriegsmacht zu Gebote stand.
Während der Kriege mit England hatte nämlich das Kriegswesen
eine völlige Umgestaltung erlitten. Die zunehmende Anwendung der
Feuergewehre, welche schon in der Schlacht bei Crscy den Engländern
den Sieg verschafft hatte, namentlich der Angriff und die Vertheidigung
der Städte und Festungen, machte ein Heer, das bloß in schwerer Reiterei
bestand, wie das der Ritter und ihres Gefolges, ganz unbrauchbar.
Da der Adel es unter seiner Würde hielt, zu Fuße zu dienen, so sahen
die Könige von Frankreich sich in dem langwierigen Kampfe mit Eng¬
land gezwungen, Fußvölker nicht bloß mit Aussicht aus Beute, sondern
auch gegen Sold zu werbeu. Diese Söldner wurden Anfangs entlassen,
sobald die Waffen ruhten, streiften dann aber als Räuberbanden durch