Das Handwerk in der Gegenwart.
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fertigt; so haben Klempner und Schlosser einen Teil ihres alten Bereichs an
den Großbetrieb verloren, und dem Handwerker bleibt nur noch die An¬
bringung und Anpassung dieser Waren übrig. Indessen wächst mit dem
zunehmenden Bedarf auch die Ausbesserungsarbeit, die solchen Handwerkern
verbleibt; auch können sich letztere für den Ausfall dadurch schadlos halten,
daß sie ein Geschäft eröffnen, in welchem sie die Fabrikware vertreiben.
Dazu kommt noch, daß die wachsenden Bedürfnisse der Menschen und die
fortschreitende Technik fortwährend aus den alten Gewerben neue Zweige
hervortreiben. So ist den Klempnern infolge der ausgedehnten Verwendung
des Gaslichts, der Wasserleitung usw. die sogenannte Installation zu¬
gefallen. — Die Arbeit des Stellmachers alten Stils beschränkt sich auf die
Herstellung und Ausbesserung von Lastwagen für den Fuhrverkehr und die
Landwirtschaft. Seitdem der Verkehr ins Ungeheure gewachsen ist und noch
wächst, ist auch der Wagenbau ins Große gegangen. Ein Stellmacher kann
nicht Eisenbahnwagen bauen. Der Wagenbauer nimmt gelernte Stellmacher,
Sattler, Tapeziere usw. in seinen Dienst.
Endlich gibt es Handwerke, deren Zeit vorüber ist, und die endgültig
von der Fabrik verdrängt sind. Dahin gehören die meisten Zweige der
Weberei. Nur im frühen Mittelalter erfreuten sich die Weber eines guten
Verdienstes; später sanken sie meist zu Manufakturarbeitern weniger Meister
herab, die sich zu Kaufleuten emporschwangen. Zahlreiche Aufstände der
Weber bekunden, wie unbefriedigend deren Lage gewesen sein muß.
Solchen Schädigungen der Gewerbe gegenüber muß indessen hervor¬
gehoben werden, daß durch die rastlos fortschreitende Technik neue Gewerbe
geschaffen werden, so die Photographie. Andere Gewerbe, die früher in Blüte
standen, wie die Stückarbeit, werden wieder zu neuem Leben erweckt.
Manche Handwerke können ihrer Natur nach niemals zum Maschinen¬
großbetrieb übergehen; man denke an die Gewerbe der persönlichen Dienst¬
leistungen, wie sie z. B. Friseure verrichten. Hierher gehören ferner die
Anbringegewerbe. Der Tapezier, der Dekorateur, der Polsterer, der Sattler,
der Dachdecker betreiben ihre Gewerbe am vorteilhaftesten, wenn der Meister
bloß mit einem Gesellen oder Lehrling arbeitet.
Handwerk und Fabrikwesen haben somit keinen Grund, einander feind¬
lich gegenüberzustehen; denn das fortschreitende Kulturleben der Menschheit
kann sie beide nicht entbehren. Den Handwerkern aber erwächst die Auf¬
gabe, die Fortschritte der Kultur nicht aus den Augen zu verlieren, sich
den wechselnden Verhältnissen anzupassen und mit ihnen fortzuschreiten.
Ein Beispiel dafür bietet die Einrichtung der Lehrwerkstätten.
Je mehr die Maschinen in die Werkstätte des Handwerkers eindringen, desto
größer wird die Gefahr, daß zugleich die Arbeitsteilung, mehr als es
wünschenswert ist, dort einzieht. Dadurch sind die Handwerker einseitiger
Ausbildung ausgesetzt; sie lernen zwar einzelne Teile sorgfältig herstellen,
nicht aber ein Ganzes von Grund aus bearbeiten und zusammensetzen,
Damit nun diese Einseitigkeit vermieden wird, sind in neuerer Zeit Lehr¬
werkstätten errichtet worden, in welchen die Unterweisung des Meisters