Full text: Die Geschichte der neuern Zeit (Bd. 3)

98. Die zweite und dritte Theilung Polens. 
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Am 25. März erschien ein preußisches Patent, welches die Besitznahme 
der Landschaften zwischen der bisherigen Grenze und einer Linie von 
Czenstochau über Rawa nach Soldán, so wie der beiden Städte Danzig 
und Thorn, im Ganzen 1016 Q.-Meilen mit IV2 Million Einwohnern 
aussprach, ein Gebiet (nun Südpreußen genannt), dessen Wichtigkeit 
hauptsächlich in der militärischen Abrundung der Ostgrenze beruhte und 
in welchem die vorgeschrittene Germanisjrung ein rasches Befestigen der 
neuen Herrschaft hoffen ließ. Am 7. April erschien auch ein russisches 
Manifest, in seinen Erörterungen dem preußischen ziemlich gleichlautend, 
in seinen Forderungen es bei weitem überbietend, indem es die Einver¬ 
leibung von 4000 Q.-Meilen mit mehr als 3 Millionen Einwohner, 
nämlich alles polnischen Landes östlich einer geraden Linie von Kaminiek 
und der galizischen Grenze bis Polozk und Drissa, ankündigte, ein Ge¬ 
biet fast so groß, als das noch übrig bleibende Polen *). Zugleich 
ward Rußland jetzt unmittelbarer Nachbar Oesterreichs. 
Doch die Polen hatten ihre kurze politische Befreiung (1791 —1793) 
nicht vergessen; je rascher und schmählicher sie vernichtet worden war, 
desto wärmer lebte die Sehnsucht darnach in den Herzen fort. Die 
Bürger in den wenigen größeren Städten (Wilna nnd Grodno in Lit- 
thauen, Warschau und Krakau im Königreiche), die Masse des kleineren 
Adels und das Heer, welches noch ungefähr 30,000 Mann zählte, 
theilten diese Stimmung. Als nun in den ersten Wochen des März 
1793 dieses Heer auf russischen Befehl zur Hälfte entlassen werden 
sollte, gehorchten einige Regimenter, aber der Brigadier Madalinski, 
der mit 10 Schwadronen Reiterei in Pultusk in Garnison lag, ver¬ 
weigerte offen den Gehorsam, die Entlassung stockte plötzlich allenthalben 
und der durch zahlreiche Vereine schon vorbereitete Aufstand brach in 
Krakau aus, wo Thaddäus Kosciusko sich an die Spitze desselben 
stellte. Vereinigt mit Madalinski schlug er in einem Gefechte (bei 
Raclawicze) die Russen, und dieser Sieg war das Signal zum Auf¬ 
stande in Warschau, wohin sich jene entlassenen polnischen Regimenter, 
trotz der Vorsichtsmaßregeln der Russen, zerstreut hatten. Nach zwei¬ 
tägigem Kampfe (17. und 18. April) wurden die Russen diK-ch die 
Ohnmacht ihrer Führung und den Mangel an Selbstvertrauen und 
Zucht aus der Hauptstadt vertrieben und diese ein Schauplatz der 
Anarchie; die Patrioten nahmen grimmige Rache an ihren russisch ge¬ 
sinnten Landsleuten. Gleichzeitig erfolgten ähnliche Katastrophen in 
Samogitien und Litthauen. 
Sofort rüstete Preußen gegen Polen, denn der König ließ sich über¬ 
zeugen, daß der polnische Krieg dringender sei, als der französische und 
übernahm selbst die Anführung seines polnischen Heeres (50,000 Mann). 
Dagegen wurden Kosciusko's Bemühungen, den Landsturm aufzubieten, 
fortwährend gelähmt durch den bösen Willen des (russisch gesinnten) 
*) Eine Entschuldigunq des von Preußen beobachteten Verfahrens s. bei v. Svbel, 
II. 213 ff. (2. Ausl.)
	        
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