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noch ein solches Abhängigkeitsverhältnis zu ertragen hätte, für ganz besonders
unselbständig und unglücklich gehalten werden. Und doch ist die Lage des deut¬
schen Kronprinzen eine ähnliche nach Hausgesetz und alter Ordnung, und die
Persönlichkeit der Fürsten vermag darin nichts zu ändern. Eine solche eiserne
Abhängigkeit von dem regierenden Herrn, in Preußen altherkömmlich, übt im
großen und kleinen Einfluß aus das Verhältnis der Söhne zum Vater, auf die
gesamte Auffassung der Familienrechte und Pflichten. Wie gut die Menschen
sein mögen, wie schön das Familienverhältnis sich darstelle, der Druck solcher
Unfreiheit lastet auf deu Seelen der Abhängigen, und dieser Druck wird tu
höheren Mannesjahren stets schmerzlicher gefühlt. Es fehlte anch in der Zeit
des Harrens nicht an Erhebungen. Er selbst rühmte als einen Gewinn das
herzliche Verhältnis, in welches er znm Könige von Sachsen gekommen war.
Er empfand mit Selbstgefühl bie Anerkennung, welche sein Wesen bei wieder¬
holtem Ausenthalt in Italien erworben hatte, und bie freundschaftliche Verbinbnng
zu dem italienischen Königshause. Er beschäftigte sich fortdauernd mit den Denk¬
würdigkeiten seiner Zeit und seines eigenen Lebens und legte sich Sammlungen
an, auch von den Urteilen der Presse über ihn selbst. Längere Zeit beschäftigte
ihn ber Nachlaß der Königin Elisabeth, den er zu ordnen hatte. Er fand darin
merkwürdige Schriftstücke nnd Briefe, welche ihm unzweifelhaft machten, daß
man in Preußen sowohl die politische Haltung als auch die kirchliche Gesinnung
dieser hohen Fran unrichtig beurteilt hatte, und er trug sich mit dem Gedanken,
diese Papiere später der Öffentlichkeit zu übergeben, damit dem Andenken der
Königin die gerechte Würdigung zu teil werde, welche sie währenb ihres Lebens
entbehrt hatte. Er freute sich innig der reichen Erwerbungen für die Museen,
die unter seiner Leitung geglückt waren, er beschäftigte sich gern mit Bauplänen
für die Zeit seiner Regierung, zumal mit großen Bauten aus der Mnsenmsinsel.
Noch einmal hob sich seine Kraft, als er int Jahre 1878 nach der Verwundung
des Kaisers zur Stellvertretung berufen wurde. Tie gehäufte Arbeit, die Ver-
antwortung, das hohe Amt gaben ihm eine Zeit lang Spannung und feinem
Geilt nette Schwingen, zur Freude und Überraschung seiner Umgebung. Aber
mit dieser verantwortlichen Thätigkeit entwich wieder der Lebensmut.
Als die Krankheit zerstörend an fein Leben trat, verklärte sich nach dem
langen Schwanken zwischen Furcht und Hoffnung die Eigenart seiner Natur, die
Lauterkeit seiner Seele nnd die Herzeussreundlichkeit nnb Milbe. Er, ber im
Kriegsgetümmel seinem Heere als ein furchtloser Eroberer erschienen war, sollte
als stiller Dnlber in bem Gentüt ber Zeitgenossen fortleben. Ein banges, langes
Dahinsterben war sein Kaiserschicksal; bie Krone, welche er einst so heiß für sein
Geschlecht nnb sich ersehnt, sank nur, wie der Lichtschein im Bilde den Märtyrer
krönt, aus fein Haupt. Es blieb ihm erspart, Antwort ans die dringenden Fragen
zu geben, welche die Nation an die Person seines Herrschers richtet, und die
höchste Ehrenwürde, die Machtfülle des Gebietenden, wurde ihm nur als ein
Tranmbild zu teil, währenb ber Leib, an bas Lager gebannt, kraftlos lag.