Full text: Erzählungen aus der Weltgeschichte

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Niemand mehr hereinließen, erkletterte der Pöbelhaufen das Dach und 
warf Steine und Wurfspieße auf sie hinab. Die Nacht unterbrach diesen 
teuflischen Vorgang und man erwartete ungeduldig den andern Morgen; 
doch vergebens freuten sich die Blutgierigen auf Sättigung ihrer 
höllischen Lust: alle Uebriggebliebenen hatten sich den Tod freiwillig 
gegeben. Auch in Megara wurde eben so grausam gegen die vor¬ 
nehmere Partei verfahren; ja auch die vertriebenen Einwohner von 
Aegina mußten unter Nikias für das Verfahren der Spartaner gegen 
Platäa büßen, bloß weil sie sich auf spartanischem Gebiete nieder¬ 
gelassen hatten. Auch die Einwohner von Delos mußten schnell, ohne 
angegebenen Grund, und ohne zu wissen: wohin? ihre Insel verlassen; 
später doch durften sie wieder zurückkehren. 
Nun betritt ein Mann den Schauplatz, dem die Höhe seines 
Standes, ansehnliches Vermögen, schöne Gestalt, bezaubernde Persön¬ 
lichkeit, Gewandtheit und Vielseitigkeit des Geistes und große Redner¬ 
gabe, Vorzüge, welche nur durch übermäßigen Ehrgeiz, große Eigen¬ 
mächtigkeit, Nänkesucht, Mangel an Beharrlichkeit, launenhafte Neigung 
Zu Veränderungen und unbändigen Muthwillen verdunkelt wurden, das 
Uebergewicht in Athen geben mußten, — Alcibiades! Obgleich aus 
seiner Handlungsweise nicht jene Erhebung, welche die Tugend verleiht, 
sondern die Kühnheit hervorleuchtet, welche aus dem Gefühl der 
llcberlegenheit entspringt, so gewann er doch durch seine liebenswürdige 
Freundlichkeit die Herzen seiner Mitbürger in dem Grade, daß sie ihm 
auch alle seine tollen Streiche verziehen. Einst galt es eine Wette, daß 
er einem gewissen vornehmen Manne eine Ohrfeige geben wolle. Er 
führte es aus, brachte es aber nicht nur dahin, daß der Beleidigte 
ihm verzieh, sondern ihm auch noch seine Tochter, reich und schön, 
Zur Ehe gab. Doch die Ehe war für den Flatterhaften ein lästiges 
^and. Eben stand seine Gattin vor dem Archon, um auf Scheidung 
Zu klagen, als er sie um den Leib faßte und unter dem Gelächter der 
Zuschauer über den Markt nach Hause trug. Einem schönen Hund, 
^en er um eine ungeheure Summe gekauft hatte, ließ er den Schwanz 
abhauen, um die Sache zum Gegenstand des Stadtgesprächs zu machen. 
Als er anficng, sich mit Staatsgeschäften zu befassen, zeigte er 
bine Alles überstrahlende Pracht in seinem Aufzuge. Er trug einen 
kostbaren Purpurmantel, führte im Kriege einen goldenen Schild, gab 
Münzende Schauspiele und theilte große Summen unter das Volk aus. 
lach pfx Schlacht bei Potidäa, wo Sokrates ihn mit seinem Schild 
Ee, patte er wie ein Löwe gefochten, und wurde darauf mit dem 
Siegerkranz und einer Rüstung beschenkt. 
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