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Viele Helden aus den benachbarten Staaten waren den Trojanern zu
Hülfe gezogen, unter tapfern Führern, meistens Königssöhnen, wie sie
in den Erzählungen aus jener Zeit heißen. Die Griechen standen hinter
Wall und Graben am Ufer des Meeres im Lager, drangen zuweilen
vor und wichen wieder zurück, je nachdem das Kriegsglück ihnen günstig
war oder ungünstig; endlich hatten sie die Trojaner bis in die Stadt
zurückgedrängt, nachdem Achilles den Hektor getödtet hatte. Damit
war aber der Krieg noch nicht zu Ende, denn Troja war befestigt
durch hohe Mauern, und die Griechen verstanden es nicht diese zu
zerstören. Da half ihnen die List des Odysseus. Er ließ ein großes
hölzernes Pferd machen, in dessen hohlen Leibe bewaffnete Griechen
versteckt waren. Die Griechen zogen sich nun scheinbar aus ihrem
Lager zurück. Als die Trojaner den Abzug derselben gewahr wurden,
kamen sie aus der Stadt, rissen einen Theil des Walles nieder, um
das Pferd als Siegesbeute in die Stadt zu bringen und feierten ihre
endliche Befreiung. In der Nacht kamen die versteckten Griechen aus
ihrem Pferde heraus, überwältigten die wenigen Wachen und ließen
ihre herbeigeeilten Kriegsgefährten in die Stadt, die nun durch Feuer
zerstört wurde. Ein Theil der Einwohner wurde getödtet, die übrigen
als Sklaven mitgenommen. Nur wenige entkamen; unter ihnen der
fromme Aeneas, der seinen alten Vater Anchises auf dem Rücken trug,
mit seiner Gattin Kreusa, und seinem Sohne, in Begleitung einiger
Gefährten, die nach Italien entkamen. Die Griechen, deren Reihen
sehr gelichtet waren, zogen heim; die wenigsten aber fanden im Vater¬
lande, dem sie durch so lange Abwesenheit entfremdet waren, die er¬
sehnte Ruhe. Die Geschichte dieses Zuges enthält viel Fabelhaftes und
würde so ausführlich schwerlich auf die Nachwelt gekommen sein, wäre
950 sie nicht durch den ältesten bekannten Dichter, den Homeros, um 950,
durch zwei große Heldengedichte, die Ilias und die Odyssee, verherr¬
licht worden. Das erstere erzählt, wie mitten im Kriege Achilles,
durch Agamemnon gekränkt, sich von dem Kampfe zurückzieht und mit
den Seinigen auf den Schiffen bleibt. Den Trojanern gelingt es jetzt
unter Anführung des tapfern Hektor die Griechen zurückzudrängen und
einen Theil ihrer Schiffe zu verbrennen. Der ungestüme Freund des
Achilles, Patroklos, nimmt nun in der Rüstung des Achilles Theil
am Kriege, wird von Hektor erlegt, und die Leiche erfährt den Hohn
des übermüthigen Siegers. Drob heftig ergrimmt tritt auch Achilles,
von seiner Mutter, der Meergöttin Thetis, prächtig ausgerüstet, wieder
auf den Kampfplatz, erlegt Hektor, bindet den Leichnam desselben an
seinen Kriegswagen und schleift ihn dreimal um Patroklos Grab zur
Sühne des angethanen Schimpfes. Um Mitternacht erscheint der alte
Vater Priamos in dem Zelte des Achilles mit reichen Geschenken, um
den Leichnam loszukaufen. Der edelmüthige Achilles giebt aber dem
Trauernden den Leichnam seines Sohnes zurück, damit er ihn anstän¬
dig bestatte. — Das zweite Gedicht, die Odyssee, beschreibt die Irr¬
fahrten, merkwürdigen Schicksale, Leiden und Gefahren des Odysseus
und seiner Gefährten auf seiner Heimreise. Der Sturm treibt das
Schiff nach der Westküste Siciliens in das Land der Kyklopen. Dort
gelangen sie in die Höhle des einäugigen Polyphem, des Sohnes des
Poseidon; dieser verschlingt nach einander sechs seiner Gefährten, und