Full text: [Teil 8 = Klasse 2, [Schülerband]] (Teil 8 = Klasse 2, [Schülerband])

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deutschen Mundarten bezeichnen wollen, und anderseits sind Hochdeutsche 
geneigt, der plattdeutschen Mundart, d. h. der Sprache der platten nieder¬ 
deutschen Ebene einen „platten" Charakter zuzuschreiben. Selbst in Süd¬ 
deutschland gibt es viele, die sich einbilden, ihre Kinder müßten sich die 
Aussprache des Nordens aneignen; sie sürchten einen Fehler zu begehen oder 
bäuerisch zu reden, wenn sie ein Wort, das Stein und Spiel geschrieben 
wird, Schtein und Schpiel aussprechen, während die Norddeutschen sich 
zieren, wenn sie ihre Kinder Schtein und Schpiel sprechen lehren, wie sie es 
im Theater oder beim Gesang hören. Die Wahrheit ist, daß überall, wo 
das Hochdeutsche die Volkssprache ist, also in Süd- und Mitteldeutsch¬ 
land, jener von den Schwaben ausgehende Brauch, auch vor den stummen 
Lauten t und p wie vor den flüssigen im Anlaute nicht bloß, sondern 
selbst im Inlaute, wie Förschter, ein sch zu sprechen, erst seit der Refor¬ 
mation nach und nach herrschend geworden ist, in Norddeutschland aber, 
auf dem Gebiete des Niederdeutschen, der ältere Lautstand, der für alle 
nordischen Sprachen geltend ist, in den meisten Landschaften wie Hol¬ 
stein, Pommern, Mecklenburg, Hannover, Oldenburg noch heute allein 
richtig und getreu bewahrt wird. 
Daß nun das Hochdeutsche keinen Gegensatz zu den süddeutschen 
Mundarten bildet, läßt sich leicht nachweisen. Ein hochdeutsch sprechender 
Pfarrer aus Norddeutschland kann, wenn er das rasche Tempo seines 
Redeflusses mäßigt, getrost eine Dorfkanzel in Süddeutschland besteigen, 
und seine Gemeinde wird ihn verstehen bis nach Tirol und an die 
Grenzen von Italien; ein Süddeutscher dagegen, wenn er auch alle Eigen¬ 
heiten seiner heimatlichen Mundart völlig abgelegt hätte, wird von einer- 
plattdeutsch redenden Gemeinde nicht verstanden werden. 
Im ganzen, kann man sagen, tragen die norddeutschen Mundarten 
das Gepräge des Flachlandes und der Meeresküste, die süddeutschen sind 
das Spiegelbild des Gebirgslandes; jene haben die weicheren Formen, 
diese fast durchweg die härteren und schärferen Laute. Die oberdeutschen 
Mundarten werden gesungen, d. h. es findet in ihnen ein mannigfacher 
Wechsel in Höhe und Tiefe, Stärke und Schwäche der Töne statt, ein 
Anschwellen und Sinken der Stimme, wodurch die Sprache eine weit 
bedeutendere Modulation für das Ohr darbietet als die des Nieder¬ 
deutschen. Der Niederdeutsche spricht mehr glatt weg und eintöniger, 
ohne die Stimme zu heben oder zu senken. Im ganzen ist seine Sprache 
ebenmäßiger, einförmiger wie sein Land, die des Oberdeutschen farbiger, 
saftiger, volltönender, weit mannigfaltiger, wie seine Bodenfläche und die 
Natur seiner Umgebung. Diese wesentlichen Eigenschaften seiner Mund¬ 
art kann weder der Süddeutsche noch der Norddeutsche ganz verleugnen, 
auch wenn er in der hochdeutschen Gemeinsprache redet. 
Es gibt keine reinen Naturgrenzen für das platte und für das hohe 
Deutsch, mit dem wir die Mundarten von Mittel- und Süddeutschland
	        
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