Full text: [Bd. 1, [Schülerband]] (Bd. 1, [Schülerband])

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Landhäusern, Reben, Obstbäumen und Heerden gleichsam besäet sind. 
Bald erscheint ein schöner Wald oder eine Reihe ungeheurer, kahler, 
gelber und weißer, zuweilen mit einigem Moos bewachsener Felsen, 
aus deren Ritzen oft hin und wieder hohe Fichten und Tannen her— 
vorsteigen und in der Luft zu schweben scheinen; an den steilen 
Spitzen dieser Felsen hangen Ruinen von Bergschlössern, noch kühn 
und stark in der Zerstörung, herab, und zwischen ihnen stürzen 
sich schäumende Wasserfälle mit wildem Getöse herunter. Bald wird 
wieder das Auge von dem Anblick der Ströme und Seen ergötzt, 
an deren Ufer Dörfer, Weinberge und Landhäuser ihren reizenden 10. 
Wiederschein verlängern und hinter welchen oft ein prachtvolles 
Amphitheater von Gebirgen emporsteigt, die sich in der dämmernden 
Ferne bis über die Wolken erheben. Dann steigen noch über sie 
weit empor die mit ewigem Schnee belasteten Spitzen der Eisberge, 
die ihren prächtigen Schimmer rings umher am Horizont verbreiten, 
und den Gesichtskreis mit einer der seltensten und erhabensten Pracht⸗ 
scenen der Natur schließen. Auf allen Seiten rieseln Quellen neben 
den Wegen, und rauschen Wasserfälle mit einem angenehmen Lärm 
von den Felsen herab, zuweilen so hoch, als ob sie aus den Wolken 
herabschäümten. Oft glaubte man in einer ewigen Einöde voll rauher 20. 
Felsen und finsterer Tannen zu sein; auf einmal wendet sich der 
Weg; eine Wiese mit dem schönsten Grün und von Rindern belebt, 
eröffnet sich mit sanftem Reiz dem Auge, oder eine weite, glänzende 
Aussicht auf einen ganzen Sammelplatz von Menschen und Hütten 
steigt empor. Bald fällt wieder das Gebrüll der Heerden, die das 25. 
Auge nicht erblickt, aus den Wolken herab, oder man sieht die Ziegen 
an felsigen Abhängen klettern und über ihnen friedliche Landhütten 
hangen, indessen im Thale die schönsten Töchter der Natur unter 
Gesang und Scherz die Grasernte vollenden. Mannigfaltigkeit und 
Größe und Gegensatz ist der unterscheidende Charakter der Land- 30. 
schaften in der Schweiz. Nichts aber zeichnet sich mehr in ihnen 
aus, als die stärksten Abstiche und die seltsamsten und auffallendsten 
Gegenstellungen. Am Fuße kahler Felsenwände grünen kräutervolle 
Wiesen; in öden Abgründen reifen die schmackhaftesten Baumfrüchte; 
reizende Landhäuser erheben sich mitten in der Wildniß; Eisberge 35. 
thürmen sich am Rande der fruchtbarsten Thäler auf, und indem 
man mit dem einen Fuß im ewigen Schnee steht, tritt der andere 
auf einen grünen Teppich, wo die süße Erdbeere sich röthet. Der 
Reiz des Frühlings und die Fruchtbarkeit des Sommers erscheinen 
hier ungeflört mitten unter der Rauhigkeit des Winters; und Grön- 40. 
lands Schrecken steigen, tausendfältig vermehrt, über ein Paradies 
auf, wo tausend herrliche Blumen duften. 
C—— 
263. Die Insel Meinau.“ 
Die Insel Meinau ist gewiß die reizendste unter den kleinen 
Inseln auf unserm Erdtheile. Während der ganzen Fahrt dahin war 
*Christoph Meiners.
	        
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