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Naturbilder.
Schwung angefügt sind. Wie edelstolz ist dagegen der Löwe gebaut!
Wie schön ebenmäßig sind seine Glieder, wie würdevoll ist das bräun¬
liche Gelb seines Gewandes! Vorzüglich schön ist der kolossale Kopf
im Schmuck der wallenden Mähne. In keinem Tierantlitze ist Würde
und Kraft so im Bunde als in dem Haupte des Löwen. Diese breite
Stirn, diese festen, ruhig blickenden Augen haben etwas Ehrfurcht¬
gebietendes. Vor allem ist es die lang herabwallende Mähne, welche
dem männlichen Löwen einen großartigen Schmuck verleiht. Wenn
diese wild sich emporrichtet, die Stirn sich runzelt und aus den Augen
Tod und Verderben blitzt, dann wird der Kopf des Tieres zu einem
wahren Medusenhaupte, vor dem auch der beherzteste Mensch zusammen¬
schreckt und seine Ohnmacht dem Könige der Tiere gegenüber fühlt.
Im Kampfe zeigt erst der Löwe seine ganze Majestät. Niemals
flieht er. Mit wutfunkelnden Augen mißt er den Gegner; stolzen Schrittes
wandelt er grollend an den Feuerrohren einher, peitscht mit dem Schweife
die Erde, daß sie stäubt, und verkündet mit einem entsetzlichen, mark¬
erschütternden Gebrüll, daß er bereit sei den Kampf aufzunehmen. Ist
er verwundet, dann stürzt er mit rasender Wut auf seinen Gegner mit
einem Schrei, der das Blut erstarren macht. Die Vorderfüße auf die
Brust seines Gegners gestemmt, den Schweif hoch aufschwingend, die
Mähne wild gesträubt: so steht er triumphierend da. Der Löwe kämpft,
solange noch ein Fünkchen Leben in ihm ist; er kämpft nicht bloß für
sein Leben sondern auch für die Ehre. Selbst im Schlafe zeigt sein
Antlitz eine stolze, auf dem Gefühle der Kraft beruhende, siegesfreudige
Ruhe, die, wenn's not tut, den Blitz und den Donner bereit hält.
Im Sumpfrohr, „wo Gazellen und Giraffen trinken“, in einsamer,
buschiger Felsen kluft hat er sein Lager. Dort liegt er während des
Tages meist im Schlaf. Weckt ihn die Abenddämmerung, dann richtet
das stolze Tier sich auf, neigt den Kopf zur Erde und nun läßt er aus
seiner breiten Brust das furchtbare Donnergebrüll ertönen, das mit
jeder Minute stärker wird. Die Erde erzittert im weiten Umkreise, die
Tiere der Wildnis bergen sich angstvoll oder laufen scheu nach allen
Seiten hin, ja selbst der Mensch erzittert, wenn der König der Tiere
seine Stimme hören läßt.
K. Doremvell, Der deutsche Aufsatz, 3. Ausl. Hannover 1895, 2. Teil
S. 252 f.
Vgl. Engleder, Wandtafeln für den naturkundlichen Unterricht, 1. Abt. Tierkunde
Nr. 27: Löwe; Gerold, 105 Wandtafeln für den naturgeschichtlichen Anschauungsunterricht.
1. Abt. Zoologie Nr. 4: desgl.; Lehmann-Leutemann, Zoologischer Atlas Nr. 7: Löwe
und Löwin.
112. Das Eichhörnchen.
Dort im Gipfel der Tanne sitzt ein Eichhörnchen. Es öffnet eine
Haselnuß, die es zierlich zwischen den langen Fingern seiner Vorder-