Object: [Teil 8 = (9. Schuljahr), [Schülerband]] (Teil 8 = (9. Schuljahr), [Schülerband])

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zünftige Handwerkerstand des Mittelalters als ein Stand kleiner Kapi¬ 
talisten angesehen. Er war vielmehr im wesentlichen ein gewerblicher 
Rrbeiterstand, der sich von den heutigen Arbeitern dadurch unterschied, 
daß jeder für viele Konsumenten, nicht für den einzelnen Unternehmer 
arbeitete. Die Stofflieferung durch den Besteller findet sich fast bei allen 
mittelalterlichen Handwerken; ja, sie dauerte bei vielen selbst dann noch 
Jahrhunderte hindurch fort, als der Besteller den Rohstoff nicht mehr 
in eigener Wirtschaft erzeugte, sondern ihn kaufen mußte, wie das Leder 
für den Schuster, das Tuch für den Schneider. Nur sehr langsam bürgert 
sich die Materialstellung durch den Meister ein, anfangs bloß für die 
ärmeren Kunden, später auch für die vermögenden. So entsteht das 
Handwerk in dem Sinne, in dem es heute gewöhnlich verstanden wird. 
Man könnte es auch Preiswerk nennen, um den Gegensatz gegen das 
Lohnwerk schärfer herauszuheben. Denn der Handwerker unterscheidet 
sich vom Lohnwerker nur dadurch, daß er im Besitze sämtlicher Produktions¬ 
mittel ist und daß er das fertige Produkt, welches aus dem von ihm 
gelieferten Rohstoff und der darin verkörperten Rrbeit zusammengesetzt 
ist, um einen bestimmten preis verkauft, während der Lohnwerker bloß 
Vergütung für seine Rrbeit empfängt. 
Rlle wichtigen Eigentümlichkeiten des Handwerks lassen sich in das 
eine Wort zusammenfassen: Kundenproduktion. Die Rrt des Rbsatzes ist 
es, die dieses Betriebssystem vor allen späteren auszeichnet. Der Hand¬ 
werker arbeitet immer für den Konsumenten seines Produkts, sei es, daß 
dieser durch Bestellung einzelner Stücke ihm dazu die Rnregung gibt, sei 
es, daß beide auf dem Wochen- oder Jahrmarkts sich treffen. Bestellungs- 
und Marktarbeit müssen einander ergänzen, wenn „tote Zeiten" ver¬ 
mieden werden sollen. In der Regel ist das Rbsatzgebiet ein lokales: 
die Stadt und ihre nähere Umgebung; der Kunde kauft aus der ersten, 
der Handwerker liefert an die letzte Hand. Dies sichert Rnpassung an 
den Bedarf und gibt dem ganzen Verhältnis einen ethischen Zug: der 
Produzent fühlt sich dem Konsumenten gegenüber verantwortlich für 
seine Rrbeit. 
Mit dem Rufkommen des Handwerks geht sozusagen ein breiter Riß 
durch den volkswirtschaftlichen Produktionsprozeß, hatte seither der 
Grundeigentümer diesen ganzen Prozeß geleitet, wenn auch mit Zuhilfe¬ 
nahme fremder Lohnarbeiter, so gibt es jetzt zwei Rrten von Wirtschaften, 
von denen jede nur einen Teil des Produktionsprozesses vollzieht: die 
eine erzeugt das Rohprodukt, die andere das Fabrikat. Es ist ein 
Grundsatz, den das Handwerk, wo immer möglich, zu betätigen gesucht 
hat: ein Gut sollte alle Stadien der Veredelung in einer Werkstätte durch¬ 
laufen. Dadurch wurden die Kapitalerfordernisse verringert und häufige
	        
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