Full text: Kurze Darstellung der deutschen Geschichte

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111. Zeitr. Die neuere Zeit, von der Reformation bis jetzt. 
Der Kaiser dagegen erklärte seinerseits den versammelten Für¬ 
sten mit gleichem Ernste: „Er sey entschlossen, alle seine Reiche, 
Länder, Freunde, Leib und Blut, und das Leben selbst, dahin zu 
verwenden, daß dieses gottlose Unternehmen keinen weitern Fortgang 
habe, indem es sonst ihm und der deutschen Nation zur ewigen 
Schande gereichen werde. Seine Vorfahren seyen sämmtlich, bis 
auf den letzten Augenblick, der römischen Kirche getreu geblieben; 
sie hätten ihm die katholische Lehre und Kirchenverfassung gleichsam 
erblich hinterlassen, nach welcher er bis dahin gelebt habe und auch 
zu sterben gedenke. Er wolle daher Luthern keinesweges mehr hören, 
sondern wieder entlassen, wie er versprochen, und sodann gegen ihn 
als Ketzer verfahren." 
Nach dieser Erklärung entließ er ihn wirklich mit sicherm Ge¬ 
leit aus 21 Tage, und Luther reiste nach Sachsen zurück. Der Chur¬ 
fürst sah nun wohl, daß die schärfste Reichsacht gegen Luther erfolgen 
werde, und beschloß, ihn auf einige Zeit den Augen seiner Feinde zu 
entziehen. Er gab daher Befehl, daß einige seiner Reuter ihm auf 
der Rückreise vermummt bei Eisenach auflauern, ihn wie mit Ge¬ 
walt fortführen, und bei Nacht, auf verborgenen Wegen, auf das 
Schloß Wartburg bringen sollten. Der Anschlag wurde ausgeführt. 
Zu Worms wurde jedoch die Reichsacht gegen Luther und alle 
diejenigen, die ihn schützen würden, ausgesprochen und seine Schriften 
öffentlich verbrannt. Aber so groß war schon die Vorliebe des Vol¬ 
kes für seine Lehre und die Nichtachtung des Verdammungsurtheils 
gegen ihn, daß in Worms selbst, während der Kaiser noch da war, 
die Schriften Luthers schon wieder zum Verkauf offenbar herumge¬ 
tragen wurden. Nach Beendigung des Reichstages verließ der Kai¬ 
ser Deutschland bald wieder, um andere Angelegenheiten seines großen 
Reiches, die wir später erzählen werden, zu besorgen, und ist in den 
nächsten 9 Jahren nicht wieder nach Deutschland gekommen. 
2. Die ersten Religionsunruhen. — Während Luther 
auf der Wartburg verborgen lebte und sich mit der Uebersetzung des 
N. Testaments beschäftigte, war die von ihm ausgegantzene Bewe¬ 
gung nicht etwa zum Stillstände gebracht, sondern wurde vielmehr 
heftiger und stürmischer, als er selbst wünschte. Einer seiner Anhän¬ 
ger, Carlstadt, ebenfalls Professor der Theologie in Wittenberg, ein 
Mann, der in seinem Eifer keine Gränzen kannte, ging so weit, daß 
er an der Spitze des Volkshaufens die Kirchen stürmte, die Heiligen¬ 
bilder, Altäre und Beichtstühle zerstö-rte, um von dem alten Gottes¬ 
dienste keine Spur zurückzulassen. Auf diese Nachricht verließ Luther, 
keine Gefahr achtend, 1522 seine Burg, kam nach Wittenberg, predigte 
gegen die Unruhestifter und stellte die Ordnung schnell wieder her. 
Bald aber brach das Feuer auf einer andern Seite aus; denn 
bei einer großen, weiteingreifenden Veränderung wissen sich die Men¬ 
schen nicht sogleich in den Schranken der Mäßigung zu halten; die 
Leidenschaften überwältigen die Vernunft, und neben den besseren 
Triebfedern erlangen auch die schlechteren, Zorn, Rachsucht und Ei¬ 
gennutz leicht eine große Gewalt. Luther hatte vorzüglich auf die
	        
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