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Das Deutsche Reich nach außen. Die allgemeinen
europäischen Verhältnisse.
Die treu bewährte Waffenbrüderschaft hatte vom Beginne des Krieges
an alle partikularistischen Stimmen in Süddeutschland zum Schweigen
gebracht. Allgemein war die Hoffnung gewesen, daß die Frucht des
ausgedrungenen Krieges ein einiges und freies Deutschland sein werde.
Ludwig ü. von Baiern hatte diesem (Befühle Ausdruck gegeben, indem er
den Anschluß der süddeutschen Staaten an den Norddeutschen Bund vor¬
geschlagen hatte. In den letzten Wochen des Jahres 1870 waren die leitenden
Minister dieser Staaten unter Bismarcks Vorsitz in Versailles zur Beratung
über die Hauptpunkte der Einigung versammelt, und die Ergebnisse ihrer
Konferenz wurden von den Volksvertretungen gutgeheißen. So hatte Wil¬
helm I. nach alter deutscher Sitte durch den jubelnden Zuruf der An¬
wesenden in Gegenwart einer Abordnung des norddeutschen Bundestages,
welche wieder Eduard Simson führte, als deutscher Kaiser begrüßt
werden können.
Das Deutsche Reich umfaßte bei seiner Gründung 9800 Quadratmeilen.
Seitdem ist der Kolonialbesitz in Afrika und Australien, sowie die Insel
Helgoland hinzugetreten, welche 1890 durch einen Vertrag mit England
erworben wurde. Schon in der Proklamation am Tage seiner Begrüßung
als Kaiser zu Versailles hatte Wilhelm I. das schöne Wort gesprochen:
„Uns und Unsern Nachfolgern in der Kaiserkrone wolle Gott beriethen,
allzeit Mehrer des Deutschen Reiches zu sein, nicht in kriegerischen
Eroberungen, sondern in den Werken des Friedens auf dem Gebiete
nationaler Wohlfahrt, Freiheit und Gesittung."
Dieses Wort hat Wilhelm I. und haben bisher seine Nachfolger zur
vollen Wahrheit gemacht. Die Politik des Reiches ist stets eine Friedens¬
politik in der höchsten Bedeutung des Wortes gewesen. Das verdankt
Deutschland der Stärke, Mäßigung und Weisheit seiner Kaiser und ihrer
Ratgeber. Es war ein Segen ohne gleichen, daß das Hohenzollern-
geschlecht an die Spitze von Deutschland gestellt wurde, und daß dieses
Geschlecht vielleicht zu keiner Zeit vorher durch seine Persönlichkeiten
so glänzend vertreten war, als 1871 und in den folgenden Jahren.
Neben dem Kaiser Wilhelm stand sein herrlicher Sohn, der sich soeben den
Lorbeer des Sieges um die Heldenstirne gewunden und sich als Führer der
süddeutschen Truppen die begeisterte Liebe derselben erworben hatte. Noch
lange Jahre nach dem Kriege konnte niemand ahnen, welch trauervolles
Ende ihm beschieden war. 1881 verband sich des Kronprinzen Sohn, der
Friedlaerider, Mittelalter und Neuzeit. 19