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kam bald der schon vorhandene Gegensatz zwischen dem Bürgerstande
und den beiden andern Ständen. Schon in der äußern Erscheinung
hatte man das Costüm von 1614 beibehalten, wodurch der Bürgerstand
in demütbiger Einfachheit neben dem prunkenden Adel, und der stolzen
Geistlichkeit erschien, allein die Gesinnung der Zeit batte verlernt auf
jenes Außenwerk Werth zu legen, es konnte kaum mehr erbittern, höch¬
stens zur Verachtung und zum Spotte reizen. Der Adel, jetzt allmäh¬
lich seiner gefährlichen Stellung inne geworden, griff zu dem ungeschick¬
ten Mittel, sich zum Tbeil ganz von den Reichsständen loszusagen, oder
wenigstens jede Gemeinschaft mit dem Bücgerstande zu vermeiden, Als
nämlich die einzelnen Stände des andern Tages, um die Vollmachten
zu untersuchen, sich in verschiedenen Sälen versammelten, erwartete der
Bürgerstand in seinem Saale, dem geräumigsten, daß sich die beiden an¬
dern Stände an ihn anschließen würden, indem er von der Ansicht aus¬
ging, daß die Anerkennung der Vollmachten, sogar wenn man sich in
der Berathung der Angelegenheiten absondern würde, dennoch als ein
allgemeines Geschäft vorgenommen werden müßte. Allein der Adel und
die Geistlichkeit weigerten sich standhaft, und nicht minder standhaft be-
harrten die Gemeinen auf ihrem Verlangen, und dieß um so klüger und
erfolgreicher, als bereits viele in den Reihen der privilegirten Stände
für ihre Ansicht gewonnen waren. Nach langen Unterhandlungen er¬
klärte (27. Mai) der Adel sich bestimmt für die abgesonderte Untersu¬
chung der Vollmachten und brach dadurch den Verkehr ab. Nun luden
die Gemeinen die Geistlichkeit ein, im Namen des friedliebenden Gottes
und des allgemeinen Wohles, sich mit ihnen zu vereinigen. Das machte
den Hof besorgt, weil man schon hörte, daß sie sich als Nationalver¬
sammlung constituiren wollten, und er suchte die Stände wieder einan¬
der zu nähern. Als jedoch fünf Wochen fruchtlos verstrichen waren,
beschloß endlich der Bürgerstano mit derselben Mäßigung und Festig¬
keit, als er bisher gewartet hatte, zu handeln, und auf den Antrag des
Abgeordneten Sieyes wurde der Beschluß gefaßt, Adel und Geistlichkeit
sollten zur Untersuchung der Vollmachten in den Saal des Bürgerstan¬
des eingeladen werden, wo man sie vornehmen würde, sie möchten nun
kommen oder nicht. Sie erschienen nicht, die Gemeinen nahmen nun
das Geschäft allein vor und erklärten sich, auf Sieyes Antrag, (Jun. 17.)
als Nationalversammlung. Der erste Schritt derselben war die Erklä-.
rung, die gesetzgebende Geivalt sey untheilbar, wodurch sie die privile¬
girten Stände sich unterwarfen, ihr zweiter, die neuen Auflagen seyen
ungesetzlich, sollten aber einstweilen als provisorische Maaßregeln, so
lange sie selbst beisammen wären, anerkannt werden. Nun schien es
nur noch in der höchsten Staatsgewalt zu liegen, die weiteren gefährli¬
chen Schritte zu hemmen, man beschloß von Seiten des Hofes, Ludwig
sollte einen Reichsgerichtshof (Ult de justice) halten, hier die Beschlüsse
der Nationalversammlung cassiren, die Trennung nach Ständen befeh-