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der Reichs-Kammergerichte eingerichtet und immer mit
gelehrten RLthen besetzt waren. Hatte ein Reichsstand
gegen den andern Klage zu erheben, so brachte er sie
meistens lieber vor einem Austrägal oder schiedsrichterli¬
chen Gerichte an, als vor einem kaiserlichen. Ueberhaupt
suchten sich die Stände von der Einmischung des Kaisers
in ihre Landesangelegcnheiten frei zu macken, so sehr
sie konnten. Jedes Kurfürstenthum, jedes Fürstenthum,
jede Grafschaft, jede Reichsstadt, jedes noch so kleme
unmittelbare Gebiet bekam nach und nach seine eigene
Regierung, seine eigenen Grundgesetze, seine eigenen
Steuern, Gerichts- und Polizeiverfassung. In den mei¬
sten Ländern war aber die landesherrliche Gewalt noch
durch die Landstände eingeschränkt. In allen wichtigen
Landcsangelegenheiten, besonders wenn Steuern von den
Ijnterthanen erhoben, Landesverordnungen gemacht, Krieg
augefangen, Bündnisse geschlossen, oder Ländertheilungen
vorgenommen werden sollten, mußten die Landstände um
ihre Einwilligung befragt werden. Zu den Landständen
aber gehörten die Prälaten, die Besitzer freier Ritter¬
güter und alle Städte des Landes. Auf solche Art wur¬
den der Willkühr der Fürsten und ihrer Minister auf
das glücklichste Schranken gesetzt, und ihre Staatsver¬
waltung erlangte mehr Zutrauen. Der Bürger und
Bauer erfuhr, wozu seine Steuern angewendet wurden,
und erlegte sie daher williger. Er war auch überzeugt,
daß von seinen Ständen nicht genehmigt werden würde,
was nicht zu seinem und des Landes Wohl diente, oder
was nicht die strengste Nothwendigkeit erheischte. Des¬
wegen war er ruhig und trug gelassen, was er zu ertra¬
gen hatte. Deswegen sehnt man sich auch in Deutsch¬
land und außerhalb, wo Landesherren noch unumschränkt
herrschen, nach einer ständischen Verfassung.