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eilten Apfel- ober Kirschbaum kletterte, wo ich süße Beute für mich 
wußte. Meistens aber hatte die freundliche Base Sophie schon für mich 
gepflückt und aufgehoben. 
Unser gewöhnliches Kinder-Hansleben ward durch die Sitte der 
damaligen Zeit, durch die Umstände der Familie und durch den Charakter 
der Eltern bestimmt. Die Sitte war damals beides: feierlich und streng, 
und Kinder und Gesinde wurden bei aller Freundlichkeit und Gutherzigkeit 
der Eltern und Herrschaften immer im gehörigen Abstand gehalten. Es 
ward selbst in den unteren Ständen im allgemeinen nach einer gewissen 
Vornehmheit und Zierlichkeit gestrebt. Der Vater war von Natur zu 
gleicher Zeit heftig und lebhaft und freundlich und mild, tummelte und 
beschäftigte die Jungen meist draußen herum; im Hanse aber überließ er 
sie, wie es in diesem Alter sein mußte, ganz der Mutter. Die Mutter 
war von Charakter ernst und ruhig und eine Seele, die auf Schein und 
Genuß gar keinen Wert legte, auch kein Bedürfnis dessen hatte. Diese 
Frau, die ihre irdischen Sorgen und Geschäfte so treu und eifrig erfüllte, 
lebte doch fast wenig von irdischer Luft und irdischem Stoff. Kein 
Kaffee, kein Wein noch Tee ist über ihre Lippen gekommen, Fleisch hat 
sie wenig berührt, sondern sich von Brot, Butter, Milch und Obst ernährt. 
Dieses müßige Leben ward auch für die Kinder zur Regel gemacht, und 
wir älteren Burschen sind fast streng erzogen worden. Ebensowenig 
ward uns in Beschuhuug und Bekleidung Weichlichkeit gestattet. War 
bei einem Nachbar, auch wohl bei einem Freunde, der vielleicht auf eine 
Meile Entfernung von uns wohnte, etwas zu bestellen, der Vater schrieb 
das Briefchen, das zahme Rößlein ward gesattelt, der Junge darauf gesetzt 
und ohne Mantel und Überrock, mochte es Sonnenschein oder Regen und 
Schneegestöber sein, mußte er mit seinem Gewerbe fortgaloppieren. Der 
Vater, selbst noch jung und kräftig, fühlte mit unserer Pimplichkeit durchaus 
kein Mitleid. Fuhr er im Winter stundenweit mit klingendem Einspänner¬ 
schlitten zu Verwandten oder Freunden, so mußten die älteren Buben zur 
Seite oder hinten aufhocken und, wenn sie froren, nebenbei springen, um 
sich zu erwärmen. Ja, mich erinnertes, wie ich als ein Junge von nenn 
oder zehn Jahren im fremden Hanse ans einem Stuhl oder Brett ein¬ 
geschlafen lag, während die Männer Karten spielten, wie der Vater mich 
dann um 11 oder 12 Uhr nachts aufrüttelte und ich schlaftrunken in den 
Schlitten hinaus mußte, wie er dann zum Spaß recht absichtlich mehrmals 
umwarf, daß ich mich im Schnee umkehren mußte, wie ich dann auch 
immer wachsam sein mußte, wenn wir durch Koppeln und Dörfer kamen, 
die Schlagbänme zu öffnen. Wehe mir, wenn ich, mich ans dem Schnee 
heranswühlend, eine weibisch-weinerliche Gebärde gezeigt hätte! 
Was nun Beschädigungen, Zerreißungen und Verletzungen an Kleidern 
und Leibern und andere dergleichen Nöte betraf, die die Jugend sich 
selbstwillig oder mutwillig ohne Auftrag zugezogen hatte, so mochte sie
	        
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