Full text: Lehrbuch der allgemeinen Erdkunde

58 Allgemeine Erdkunde. 
§. 318. Ströme, die unmittelbar von schneebedeckten Gebir¬ 
gen, z. B. den Alpen, Herabkommen, haben auch im Sommer 
hohen Wafserstand, weil durch die Sonnenhitze der Schnee zu Was¬ 
ser ausgelöset wird. 
8-319. Viele Ströme sind regelmäßigen Ueberschwem- 
mungen ausgesetzt, welche sich alle Jahre ^vder halbe Jahre zur 
bestimmten Zeit einmal einstellen. Der St. Lorenz ström in 
Amerika ist wahrscheinlich der einzige Strom auf Erden, auf dessen 
Wassermasse weder häufiger Regen noch anhaltende Dürre Einfluß 
äußern. Nur durch die Winde wird das Niveau zuweilen verän¬ 
dert, und die östliche Ecke des Eric-Sees hat bei starkem, anhal¬ 
tendem Westwinde nicht selten einen sechs Fuß höhern Wasserstand 
als gewöhnlich. 
8- 320. Die regelmäßigen Ueberschwemmungen finden beson¬ 
ders in der heißen Zone statt, und zwar während der Regenzeit, 
welcher sie meist ihr Entstehen verdanken, oder bald nachher. Ha¬ 
ben die Ströme einen Lauf nach Osten, wie der Orenoko, oder 
nach Westen, wie der Senegal, so steigt das Wasser in allen 
Theilen beinahe zu gleicher Zeit, weil sie ziemlich unter gleichen 
Parallelen fortfließen; fließen sie dagegen nach Norden, wie der 
Nil, oder nach Süden, wie der Indus, so schwillt der untere 
Theil des Laufes immer erst etwas später an. Nehmen die Ströme 
jedoch zahlreiche Nebenflüsse aus einem ausgedehnten Gebiete auf, 
wie der Mississippi, so sind die Ueberschwemmungen sehr unregel¬ 
mäßig wegen der verschiedenen Jahreszeiten in den verschiedenen 
Gegenden des Stromgebietes. 
8. 321. Die Ueberschwemmungen des Nil, Ganges und 
Mississippi steigen oftmals von 30 bis 40 Fuß über das ge¬ 
wöhnliche Niveau; die des Ohio und anderer Nebenflüsse de6 
Mississippi bis zu 60, und die des Orenoko gar von 70 bis 120 
Fuß. Dieser letztere, der Amazonen ström und der Ganges 
setzen die ganze umliegende Gegend in einer Breite von 30 Meilen 
und mehr unter Wasser. 
Der Nil brauchte vor ein Paar Tausend Zähren nur 16 Fuß hoch zu 
steigen, um das Land zu befruchten, während gegenwärtig eine Hohe von 
•40 Fuß nöthig ist, wenn das Jahr nicht ein schlechtes sein soll. Der 
Mississippi bildet an beiden Ufern seines untern Laufes eine lange 
Reihe von Sümpfen (Swamps). Das angebauete Land ist gegen Ueber¬ 
schwemmungen durch Damme und Deiche, die sogenannte Levee geschützt, 
die sich am östlichen Ufer auf einer Strecke von 200, aus dem westlichen 
von 300 englischen Meilen hinaus erstreckt. 
8. 322. Die Ueberschwemmungen richten, namentlich in der 
heißen Zone, oft gewaltige Verwüstungen an, schwemmen Häuser 
und ganze Dörfer fort, und bei jener des Ganges im Jahre 1822 
ward die Anzahl der ums Leben gekommenen Menschen auf 50,000 
bis 100,000 angeschlagen. Andererseits sind sie jedoch von unbe- 
rechnenbarem Nutzen, weil sie eine Decke von rein fruchtbarem vege¬ 
tabilischen Erdreiche zurücklassen. Ohne die Ueberschwemmungen 
des Nil wäre Aegypten eine dürre Sandwüste. 
8. 323. Die Strömung ist zuweilen an den Mündungen 
so gewaltig, daß man sie bis weit ins Meer hinein gewahr wird;
	        
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