Full text: Darstellung der allgemeinen Verhältnisse und Erscheinungen der Völkerkunde (I)

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Kap. 1. Vorläufige Betrachtungen. 
namentlich bei weit verbreiteten Völkern, — häufig nicht histo¬ 
risch nachzuweisen, ob alle dieselbe Sprache Redenden gemein¬ 
schaftlicher Abstammung sind, oder ob die Sprachverwand- 
schaft blos aus gleicher uranfänglicher Naturanlage/ verbun¬ 
den mit der Verbreitung über einen gleichen Erdstrich, unter 
dem Einflüsse gleichförmig wirkender Ursachen entstanden ist: — 
dennoch scheint es gewiß, daß die Individualitäten der Völ¬ 
ker erst durch ihre Sprache in ein helleres Geistesgebiet hin« 
übergeführt und deutlicher, erkennbarer charakterisirt werden, 
woher cs denn kömmt, daß Völker, deren Sprachen noch 
nicht tief genug erforfcht waren, oft gleichförmiger und ver¬ 
wandter erschienen, als sie später, bei genauerer Bekanntschaft, 
befunden wurden, da alle die feineren, allein durch die Kennt- 
niß der Sprache lesbar werdenden Züge ihres individuellen 
Geistesgepräges anfänglich nicht deutlich erkannt werden konn¬ 
ten. Und aus eben diesem Grunde ist, — was unter allen 
Umständen eine schwierige Aufgabe bleibt, — auch nur dann 
ein ähnliches Bild von der geistigen Individualität eines Vol¬ 
kes zu entwerfen, wenn es dieselbe, in einer mehr oder we¬ 
niger ausgedehnten Literatur, seiner Sprache eingeprägt hat. 
Erscheint hiernach die Verschiedenheit oder Ähnlichkeit 
der Sprache als das sicherste und geistigste Merkmal der 
Nationalität, so äußert sich doch die letztere nicht blos in dieser 
innerlichen, eben durch die Sprache am deutlichsten ver¬ 
sinnlichten Geisiesstimmung, sondern auch, wie bereits an¬ 
gedeutet, in den übrigen durch die Naturanlage, das Lo¬ 
kale und die Wechselwirkung der verschiedenen Individua¬ 
litäten bedingten Erscheinungen, — in der lebendigen und an¬ 
schaulichen Wirklichkeit des äußeren Lebens, in Physiogno¬ 
mie, Körperbau, Sitte, Lebensweise, Einrichtungen und außer¬ 
dem in dem durch die Werke und Thaten der Völker kund¬ 
gegebenen historischen Moment ihres Daseyns. — 
Wenngleich man nun zwar mit Recht sagen kann, daß 
alle die zuletzt genannten äußerlich eit Kennzeichen nur der 
Abdruck, nur die Verkörperung des inneren Lebens sind, wel¬ 
ches durch sie blos auf mannigfache Weise zur An¬ 
schauung gebracht worden: so muß man dennoch, bei der
	        
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