108 Abschn. 3. Von den aufd. Entwickel. d. Menschh. einwirk. inneren Urs.
ten, in deren Gestaltung sich das Seelenleben der Völker aus»
spricht, indem wir die Entwickelung desselben nur nach dem
Raume und seinen Beschaffenheiten, nicht nach der Zeit und ihren
Entfaltungen vollständig zu begreifen und aufzufassen vermögen.
Durch wieviel Jahrtaufende und durch wieviel verfchiedene Ge*
staltungen diese inneren Welten sich bereits fortgeschwungen ha»
ben mögen, bevor sie ihre heutige Ausprägung gewannen: das
bleibt uns größtentheils, als völlig unbekannt, zur Seite liegen.
Gewiß aber hat sich solche Fortentwickelung, nach Verschiedenheit
der lokalen Natur, an diesem Orte lebendiger, an jenem träger
fortbewegt, — und an einen absoluten Stillstand auf irgend ei»
uem Standpunkte, in irgend einer Vorzeit ist kaum bei jenen
Völkern zu denken, deren ganze Existenz heute als völlig starr
und unflüssig erscheint. Als wahrscheinlich muß cs endlich
betrachtet werden, daß jene Bewegung dort um so beschleu¬
nigter stattgefunden habe, wo der Mangel jedes positiven
Glaubens, jeder heiligen Urkunde, jeder direkten Offenbarung
dem Einflüsse der heimathlichen Natur und der eigenen Sinn¬
lichkeit auf keine Weise Einhalt gethan und entgegengewirkt hat.
Die Mannigfaltigkeit der irdischen Natur bedingt das po¬
lytheistische Prinzip Ln der religiösen Vorstellungsweise des
Menschen überhaupt, bedingt die Mannigfaltigkeit heidnischer
Neligionsformen in den verschiedenen Völkern. An die Ein¬
drücke, die sie durch die Sinne von den Erscheinungen des
Naturlebens empfangen, knüpfen sie zunächst die Vorstellung
von den Mächten, die über das Leben walten. Und an die
Ahnung und Empfindung von der geistigen Existenz des ei¬
genen Wesens, an die lebendig festgehaltene Erinnerung an
die Seelen der Verstorbenen reiht sich die Idee von dem
Daseyn geistiger Wesen überhaupt, reiht sich der Glaube an
die ewige Fortdauer Dessen, was nicht irdisch, sondern geistig
ist, an die Unsterblichkeit der Seele. Dieser Glaube, der
sich, unter mannigfaltiger Gestalt, bald lebendiger, bald erstor¬
bener, fast bei allen Völkern, selbst den rohesten, erhalten hat,
bedingt zugleich die Erscheinung des sogenannten Geisterglau¬
bens, nach welchem nicht nur die Seelen der Dahingeschie¬
denen die Lebenden, als schirmende, heilbringende Genien um-