Full text: Darstellung der allgemeinen Verhältnisse und Erscheinungen der Völkerkunde (I)

32 Abschn. 1. Physiologische Mannigfaltigkeit und Einheit des Menschen. 
genübcrgestellt. Man hat ferner ein snccessives Vorherrschen 
dieser vier Temperamentsformen in den vier Altersstufen des 
Menschen wahrzunehmen geglaubt, so daß das sanguinische 
im Kinde, das cholerische im Jünglinge, das melancholische 
im Manne, das phlegmatische im Greise überwiegend sey. 
Man hat endlich, wie schon bemerkt, in jeder Race eine die- 
ser Tcmperamentssormcn vorwaltend zu finden gemeint, 
indem man im Neger das sanguinische, im Mongolen das 
melancholische, im Amerikaner das phlegmatische, im Kauka¬ 
sier das cholerische und in den malayischen Völkern, je nach¬ 
dem sie sich in ihrer körperlichen Ausprägung der einen oder 
der anderen dieser Varietäten zugewandt, bald das eine, bald 
das andere vorherrschend ausgeprägt sah *). 
Zwar scheint die oberflächlichste Beobachtung hinzu¬ 
reichen, um allen diesen Annahmen zu widersprechen. Denn 
es findet sich wohl niemals in irgend einer Individualität 
der reine Ausdruck einer der vier Temperamentsformen, son¬ 
dern vielmehr überall ein Gemisch von allen, so daß das eine 
oder das andere kaum als entschieden überwiegend betrachtet 
werden kann, weshalb dann aber auch weder in irgend einer 
Nationalität noch in dem noch allgemeineren Typus der Va¬ 
rietät die vollkommene Abspiegelung eines gewissen Tempe¬ 
ramentes gefunden werden könnte; es müßten sich hier viel¬ 
mehr eben dieselben unendlich mannigfaltigen Mischungen und 
Abschattungen ergeben, welche die einzelnen Individualitäten 
charakterisiren. — 
Solchem Einwürfe ist indeß nicht schwierig zu begegnen: 
denn die angeführte Erscheinung ist ja auf dem geistigen 
Gebiete wesentlich keine andere, als jene, so wir auf dem 
Gebiete des Körperlichen, bei der Eintheilung der Mensch¬ 
heit in Haupt-Varietäten, wahrgenommen haben **). So wie 
dort das Urbild jeder einzelnen Varietät mehr als eine ab¬ 
strakte, aus den vorherrschenden körperlichen Eigenthüm¬ 
lichkeiten aller einzelnen Jndidualiten konstruirte, summari- 
_ sche 
*) Steffens Anthropologie II. 
**) Vgl. §. 13. dieses Abschnittes.
	        
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