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Absicht war nicht, Widerstände zu umgehen, sondern sie aufzusuchen.
And so oft der schwimmende Gigant Miene machte, auszuweichen, immer
wurde er wieder sofort in die Bahn hineingezwungen. Unten im Tal
sahen wir an dem scharfgezeichneten Schatten des Luftschiffes, wie es
sich mühsam von Baum zu Baum quälte; ja, auf Minuten sah es aus,
als ständen wir überhaupt still, trotz der höllischen Musik, die die Schrauben
machten. Dann wieder schob sich die Spitze etwas vor, bis endlich der
Mensch wieder gesiegt hatte, wieder Herr geworden war: unser Gigant
steckte die Nase in das freie Luftmeer, wir hatten uns durch den Engpaß
hindurchgezwungen, und nun ging es in voller Fahrt vorwärts. Der
Riesenschatten da unten zog mit der Geschwindigkeit eines Vogels über
Berge, Täler, über Senkungen, über Klüfte und Spitzen, quer über
Eisenbahndämme und Straßen, quer über Wasser und Land. Aber Win¬
terthur ging der Flug nach Frauenfeld, über Norschach nach Bregenz,
bei Lindau vorbei wieder heim. Und unten immer Staunen und Jubel
und tosendes Grüßen. Es ist ein großes Herzklopfen. Und man hat ihnen
«eine Hoffnung erfüllt, weil sie einen Siegeszug sehen konnten.
<£mil Sanbt, )llustr. Zeitung 1908.
130. Ansprache Kaiser Wilhelms II. bei der Abendtafel an die
konfirmierten Prinzen August Wilhelm und Oskar.
17. August 1903.
Meine lieben Söhne'
In dem Augenblick, wo wir im Begriff sind, die Gläser auf Euer
Wohl zu leeren und Unsere Glückwünsche Euch auszusprechen, daß Ihr
unter uns eingetreten seid als tatenfrohe Menschen, in die Gemeinde des
Herrn, um darin zu arbeiten, möchte Ich als Euer Vater auch ein Wort
Euch mit auf den Weg geben.
Der heutige Tag ist für Euch in geistiger Beziehung gleichzustellen
dem Tage, an dem der Offizier, der Soldat seinen Fahneneid ableistet.
Ihr habt als Prinzen des Königlichen Äauses schon im 10. Jahre das
Recht, Uniform zu tragen. Damit möchte Ich Eure Taufe vergleichen.
Ihr seid vorgemerkt als Streiter Christi. Mit dem heutigen Tage seid
Ähr sozusagen im Glauben mündig geworden. Die Wehr und Waffen
und das Rüstzeug, deren Ihr Euch bedienen sollt, sind Euch von kundiger
ioand gelehrt und bereit gelegt worden. Ihre Anwendung in allen Lebens¬
lagen wird nun an Euch liegen. Auch darin werdet Ihr noch zum Teil
unterwiesen werden können. Aber schließlich muß ein jeder lernen, die
Waffen, auch die geistigen, selbst zu führen, die ihm anvertraut sind. Ich
spreche mit Absicht im militärischen Sinne, weil Ich annehme, daß auch Ihr
das schöne Gleichnis kennt, worin der Christ mit dem Krieger verglichen wird,
und in welchem die Waffen aufgeführt werden, die ihm der joerr zur Ver¬
fügung gestellt hat. Ihr werdet gewiß die Gelegenheit haben, in späterer Zeit
diese oder jene von den Waffen anzuwenden, und Ihr werdet gewiß das,
was Ihr heute so schön in Euerem Gelübde versprochen habt, auch betätigen.
In sehr richtiger Weife hat in der herrlichen Ansprache, die Euer
geistlicher Lehrer heute an Euch gerichtet hat, derselbe einen Begriff her¬
vorgehoben für das, was von Euch verlangt wird, nämlich, daß Ihr
„Persönlichkeiten" werden sollt. Es ist das derjenige Punkt, auf den nach