Object: Für die dritte Bildungsstufe (Theil 3)

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gefunden worden war. Das lockere Erdreich hatte sich wie eine Flüssigkeit in 
Strömen bewegt, von denen man annehmen muß, daß sie erst niederwärts, dann 
horizontal und zuletzt wieder aufwärts gerichtet waren. Streitigkeiten über das 
Eigenthum solcher, viele hundert Toisen mit fortgeführten Gegenstände sind von der 
Audiencia (dem Gerichtshöfe) geschlichtet worden. 
Es ist ein Irrthum, daß Windstille, drückende Hitze, dunstiger Horizont im¬ 
mer Vorboten eines Erdbebens seien. Ich habe Erdstöße gefühlt bei heiterer Luft 
und frischem Ostwinde, wie bei Regen und Donnerwetter. Auch die Regelmäßigkeit 
der stündlich en Veränderungen in der Abweichung der Magnetnadel und im 
Luftdruck blieb zwischen den Wendekreisen an den Tagen der Erdstöße ungestört; 
obgleich oftmals eine elektrische Spannung des Luftkreises bei gewitterlosem Him¬ 
mel bemerkt wird. 
Die Starke des dumpfen Getöses, welches das Erdbeben größtentheils begleitet, 
wächst keineswegs in gleichem Maaße, als die Stärke der Oscillationen. Ich habe 
genau ergründet, daß der große Stoß im Erdbeben von Riobamba — einem der 
furchtbarsten Phänomene der physischen Geschichte unseres Erdkörpers — von gar 
keinem Getöse begleitet war. Bei den Erdbeben von Quito, Lima (1746), Neu- 
Granada (1827) erfolgte es nachher. Auch die Natur des Getöses ist sehr verschie¬ 
den: rollend, rasselnd, klirrend. Da feste Körper vortrefstiche Leiter des Schalles 
sind, dieser z. B. in gebranntem Thon 10—12 mal schneller sich fortpflanzt, als in 
der Luft, so kann das unterirdische Getöse in großer Ferne von dem Orte vernom¬ 
men werden, wo es verursacht wird. In Caraccas hörte man in einer Landstrecke 
von 2300 Quadratmeilen überall am 30. April 1812 ohne alles Erdbeben ein don¬ 
nerähnliches Getöse, als 158 Meilen davon der Vulkan von St. Vincent in den 
kleinen Antillen aus seinem Krater einen mächtigen Lavastrom ergoß. Es war also 
der Entfernung nach, als wenn man einen Ausbruch des Vesuvs im nördlichen 
Frankreich vernähme. Bei dem großen Ausbruche des Vulkans Cotopari 1744 
hörte man in Honda am Magdalenenstrome 109 Meilen entfernt und durch kolossale 
Gebirgsmassen von Quito getrennt, unterirdischen Kanonendonner, der bestimmt 
nicht durch die Luft, sondern durch die Erde in großer Tiefe fortgepflanzt wurde. 
So 1835, beim Erdbeben von Neu-Granada, in Haiti, Dominica rc. — 
Die Wirkung eines feuerspeienden Berges, so furchtbar malerisch auch das 
Bild ist, welches sie den Sinnen darbietet, ist doch nur immer auf einen sehr kleinen 
Raum beschrankt. Ganz anders ist es mit den Erdstößen, die, dem Auge kaum be¬ 
merkbar, bisweilen gleichzeitig in tausend Meilen Entfernung ihre Wellen fort¬ 
pflanzen. Das große Erdbeben, welches am 1. November 1755 Lissabon zerstörte 
und dessen Wirkungen der große Weltweise Immanuel Kant so trefflich nachgespürt 
hat, wurde in den Alpen, an der schwedischen Küste, auf den antillischen Inseln, in 
Canada, wie in Deutschland verspürt. Ferne Quellen wurden in ihrem Laufe un¬ 
terbrochen: die Teplitzer warmen Quellen versiegten und kamen, alles überschwem¬ 
mend, mit vielem Eisen-Ocher gefärbt, zurück. In Cadir erhob sich das Meer zu 
60 Fuß Höhe, während in den kleinen Antillen die, gewöhnlich nur 26—28 Zoll 
steigende Fluth urplötzlich dintenschwarz 20 Fuß hoch stieg. Man hat berechnet, 
daß am 1. November 1755 ein Erdraum gleichzeitig erbebte, welcher an Größe vier¬ 
mal die Oberfläche von Europa übertraf. Auch ist noch keine andere Aeußerung 
einer Kraft bekannt (die mörderischen Erfindungen unseres eigenen Geschlechtes mit 
eingerechnet), durch welche in dem kurzen Zeitraume von wenigen Minuten oder 
Sekunden eine größere Zahl von Menschen (60000 in Sicilien 1673, 30—40000 im 
Erdbeben von Riobamba 1797, vielleicht 5mal so viel in Kleinasien und Syrien im 
Jahre 19 und 526) getödtet wurden. — Wenn man Nachrichten von dem täglichen 
Zustande der gesummten Erdoberfläche haben könnte, so würde man sich sehr wahr-
	        
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