215
Phokion soll der Sohn eines Löffelmachers gewesen sein.
Sein Leben lang lebte er in großer Armuth und zeigte in seinem
ganzen Wesen einen tiefen Ernst, denn Niemand hat ihn je
lachen oder weinen sehen. Nie besuchte er ein öffentliches Bad.
und hielt stets die Hände unter dem Mantel verborgen, was
für ein Zeichen des Anstandes bei den Griechen galt. Auf den
Feldzügen ging er stets unbeschuht und leicht gekleidet, so daß
die Soldaten es für ein Zeichen eines strengen Winters hielten,
wenn er davon eine Ausnahme machte. Sein Aeußeres war
finster und mürrisch, weshalb sein Umgang von Andern nicht
gesucht ward. Als einst Jemand über seine finstere Miene
spottete, und die Athener ein Gelächter erhoben, sagteer: „Meine
Miene hat noch Niemanden ein Leid zugefügt, aber das Geläch¬
ter dieser Umstehenden hat dem Staate schon viele Thränen ver¬
ursacht." Ungeachtet seiner Armuth nahm er nie Geschenke an,
und einst sahen Macedonische Boten, welche ihm ein Geschenk
von hundert Talenten überbringen wollten, wie seine Frau den
Teig knetete und er selbst das Wasser zutrug. In seinem Hause
herrschte die größte Einfachheit. Die Athener gaben ihm den
Ehrennamen des Rechtschaffenen. Während Demosthenes zum
Kriege gegen Philipp rieth, ermahnte Phokion stets in kurzen
und scharfen Ausdrücken zum Frieden, und Demosthenes fürch¬
tete ihn mehr als andere Athenische Redner. Wenn sich Pho¬
kion erhob, pflegte Demosthenes heimlich zu seinen Freunden zu
sagen: „Das Beil meiner Reden ist da!" Als fie einst in ihren
Meinungen einander heftig entgegentraten, rief Demosthenes un¬
willig aus: „Die Athener werden dich tödten, Phokion, wenn
sie rasend werden!" „Und dich," antwortete Phokion, „wenn
sie bei Verstände sind." Da Phokion den Athenern ihre Fehler,
namentlich ihren Leichtsinn mit bitterem Tadel vorwarf, so
mußte er denn auch gewöhnlich hören, daß seine Vorschläge
verworfen wurden. Als daher seine Vorschläge einst beifällig
ausgenommen wurden, verwunderte er sich selbst und ries:
„Habe ich denn vielleicht etwas Närrisches gesagt?" —Phokion
ward im Jahr 318 v. Ehr. von den Athenern der Verrätherei
angeklagt und mußte den Giftbecher trinken. Als einer seiner
Freunde sagte: „Welch ein unwürdiges Schicksal trifft dich,
Phokion!" antwortete er: „aber kein unerwartetes, denn es hat
noch alle großen Athener betroffen!" — Vier Jahre früher