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Alte Zeit.
dem ©rnP) das Mittel an giebt, durch welches Anfortus genesen kann: nämlich
ihn zu fragen, was ihm fehle. Sa muß Parcival am andern Margen das
Schloß wieder verlassen. Irrend naht er sich Artus Hofe. Er fall in die
Tafelrunde aufgenommen werden, aber von der Zauberin Cundrie, ob seiner
Schweigsamkeit verflucht, zieht er verzweifelnd weiter. Vier Jahre irrt er
umher; endlich empfängt er von einem Einsiedler Trevrizent, seinem Oheim,
Belehrung über seine Sünden und bereut sie in Demut. Erleichterten Herzens
nimmt er Abschied, besiegt alle seine Gegner, kommt endlich zur Gralsburg und
erlöst, indem er die entscheidende Frage stellt den kranken König. Darauf wird
er selbst König des Grals, vereinigt sich dann wieder mit seiner Gemahlin und
vererbt später das Gralkönigthum auf seinen Sohn Lohengrin."
Der Dichter will die Grundwahrheit des Christenthums darstellen: ,,Der Mensch findet Heil und
Frieden nur in Christus." Der heilige Gral ist das Bild dieses Heils; Parcival aber ist das Bild
eines Menschen, dessen Herz unruhig nach Glückseligkeit verlangt und in dem Dienste der Welt sie
vergeblich sucht, ja sich dort nur noch unglücklicher macht, je mehr er sich von Gott entfernt.
,,Oarcivals Kindheit."
Bezwungen von des Grams Gewalt,
Zog aus deni Land in einen Wald
Sie nach der Wildnis von S o l t a n e, —
Der Blumen halb dort auf dem Plane
Doch wahrlich nicht; in Leid so ganz
Versenkt, wie bunt sie mochten prangen.
Sie wand sie nimmer sich zum Kranz.
Hier barg die Flüchtige mit Bangen
Ihr Kind und ließ von ihren Leuten
Notdürftig Acker baun und reuten.
So zärtlich liebt sie ihren Sohn,
Daß, eh er noch Verstand gewann,
Sie allem Volk besohlen sckwn,
Wenn Jemand nur, ob Weib ob Mann,
Ein Wort von Rittern fallen ließe,
Daß mit dem Leben er es büße:
„ Denn wenn mein Herzblatt lernte je,
Wie es um. Rtttersleben steh'.
Würd ich versenkt in neues Leid.
Drum mahn' ich euch, daß ihr gescheid
Vor Ritterschaft in jeder Art
Des Knaben Kenntnis streng bewahrt."
Da gab's ein Leben voller Sorgen.
So ward der Knabe, tief verborgen,
Im Walde von Soltan' erzogen,
Um königliche Zucht betrogen.
Die Freiheit doch ward ihm zuteile:
Selbst schnitzt er Bogen sich und Pfeile,
Und eifrig schoß nun seine Hand
Jedweden Vogel, den er fand.
Doch schoß er einen ihrer nieder,
Der eh' noch sang so süße Lieder,
So weint er laut und raufte gar-^
Als wie zur Strafe sich sein Haar.
Sein schöner Leib war blendend hell,
Und jeden Morgen wusch am Quell
Er auf dem Anger sich, allein
Nicht eher konnt' er fröhlich sein,
Als bis umher der Vögel Sang
Ihm süß zu Ohr und Herzen drang.
Da schwoll die kleine Brust ihm; hin
Lief weinend er zur Königin,
Und fragt sie: „Was ist dir gethan?
Du warst draußen auf bem Plan?"
So wußt er Rede nicht zu stehn,
Wie wir's auch noch bei Kindern sehn.
Dem Dinge spürte nach sie lange.
Bis sie ihn lauschend traf dem Sange,
Der aus der Bäume Wipfel scholl;
Und sie begreift, wie von dem Klange
Des Söhnchens Brust so sehnend schwoll.
Das lag in seines Wesens Drange! —
Nun trug sie Haß den Vögeln all —
Warum? sie wußt's nicht. Daß den Schall
Der Vögel sie zum Schweigen brächte,
Bot auf sie ihre Bauern und Knechte,
Um scharf den Vögeln nachzujagen,
Sie einzufangen, zu erschlagen.
Doch Vöglein waren wohl beraten:
Gar viele schlüpften aus den Schlingen,
Und ließen nun durch Hain und Saaten
Nur freudiger ihr Lied erklingen.
Der Knappe drauf zur Kön'gin sprach:
„Wes zeiht mau doch die Vögel—Ach
*) Der Gral ist nach der mittelalterlichen tief-mystischen Sage die Demanten - Schüssel, worin
Joseph von Arimathia das Blut Christi auffing und die, mit wunderbaren Kräften ausgestattet,
später in's Abendland kam.