fullscreen: Dichtung der Neuzeit (Teil 2, [Schülerbd.])

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Siebente Periode oder zweite Blüteperiode, von 1748 ab. 
Oer siebzigste Geburtstag. 
Auf die Postille gebückt, zur Seite des wärmenden Ofens, 
Saß der redliche Tamm in dem Lehnstuhl, welcher mit Schnitzwerk 
, Und braunnarbigem Jucht voll schwellender Haare geziert war: 
Tamm, seit vierzig fahren in Stolp, dem gesegneten Freidorf, 
Organist, Schulmeister zugleich und ehrsamer Küster; 
Der fast allen im Dorf, bis auf wenige Greise der Vorzeit, 
Einst Taufwasser gereicht und Sitte gelehrt und Erkenntnis, 
Dann zur Trauung gespielt und hinweg schon manchen gesungen. 
Oft nun faltend die Hand' und oft mit lauterem Murmeln 
10. Las er die tröstenden Sprüch' und Ermahnungen. Aber allmählich 
Starrte sein Blick, und er sank in erquickenden Mittagsschlummer, 
l Festlich prangte der Greis in gestreifter kalmankener Jacke; 
Und bei entglittener Brill' und silberfarbenem Haupthaar 
- - Lag auf dem Buche die Mütze von violettenem Sammet, 
Mit Fuchspelze verbrämt und geschmückt mit goldener Troddel. 
Denn er feierte heute den siebzigsten frohen Geburtstag, 
Froh des erlebeten Heils. Sein einziger Sohn Zacharias, 
Welcher als Kind auf dem Schemel gepredigt, und, von dem Pfarrer 
Auserseh'n für die Kirche, mit Not vollendet die Laufbahn 
20. Durch die lateinische Schul' und die teuere Akademie durch, 
Der war jetzt einhellig erwähleter Pfarrer in Merlitz 
Und seit kurzem vermählt mit der wirtlichen Tochter des Vorfahrs. 
Fernher hatte der Sohn zur Verherrlichung seines Geburtstags 
Edlen Tabak mit der Fracht und stärkende Weine gesendet, 
Auch in dem Briefe gelobt, er selbst und die freundliche Gattin, 
Hemmeten nicht Hohlweg' und verschneiete Gründe die Durchfahrt, 
Sicherlich kämen sie beide, das Fest mit dem Vater zu feiern 
Und zu empsah'n den Segen von ihm und der würdigen Mutter. 
Eine versiegelte Flasche mit Rheinwein hatte der Vater 
30. Froh sich gespendet zum Mahl und mit Mütterchen auf die Gesundheit 
Ihres Sohns Zacharias geklingt und der freundlichen Gattin, 
Die sie so gern noch sähen und Töchterchen nennten und bald auch 
Mütterchen ach! an der Wiege der Enkelin oder des Enkels! 
Viel noch sprachen sie fort von Tagen des Grams und der Tröstung, 
Und wie sich alles nunmehr auflös' in behagliches Alter. 
„Gutes gewollt, mit Vertrau'n und Beharrlichkeit, führet zum Ausgang 
Solches erfuhren wir selbst, du trauteste; solches der Sohn auch! 
Hab' ich doch immer gesagt, wenn du weintest: Frau, nur geduldig! 
Bet' und vertrau'! Je größer die Not, je näher die Rettung! 
40. Schwer ist aller Beginn; wer getrost fortgehet, der kommt an!" 
Feuriger rief es der Greis und las die erbauliche Predigt 
Nach, wie den Sperling ernähr' und die Lilie kleide der Vater. 
Doch der balsamische Trank, der altende, löste dem Alten
	        
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