124
Das bürgerliche Recht
51 Endlich mußten wegen der Verschiedenheit der Verhältnisse in
verschiedenen Teilen des Reiches einzelne Gebiete des bürgerlichen
Rechts auch der Landesgesetzgebung zur Regelung überlassen bleiben,
so daß also auch in Landesgesetzen (z. B. in den Ausführungsgesetzen
zum BGB) Vorschriften des bürgerlichen Rechts enthalten sind. Von
der Reichsgesetzgebung abweichende Bestimmungen dürfen aber die
Landesgesetze nur insoweit treffen, als dies von der Reichsgesetzgebung
ausdrücklich zugelassen ist 2.
52 Wenn wir, wie dies oben geschah, von dem bürgerlichen Recht
sprechen, so verstehen wir unter dem Worte „Recht" eine Summe
von Rechtssätzen. Das Wort Recht wird aber nicht nur in diesem
objektiven, sondern auch in subjektivem Sinne ge¬
braucht; dann bedeutet es die vom objektiven Recht (den Gesetzen)
anerkannte Befugnis einer Person, seinen Willen in gewisser Hinsicht
geltend zu machen. Ein solches subjektives Recht ist ein d i n g I i ch e s
oder ein persönliches Recht, je nachdem es in der Befugnis
besteht, über einen dinglichen (beweglichen oder unbeweglichen) Gegen¬
stand zu verfügen oder von einer Person eine bestimmte Handlung
oder Unterlassung zu verlangen.
53 Den subjektiven Rechten der einzelnen entsprechen die Ver¬
bindlichkeiten, und zwar steht jedem dinglichen Recht einer
Person gegenüber die Verbindlichkeit aller anderen, sich jeder dieses
Recht verletzenden Verfügung über die betreffende Sache zu enthalten,
während jedem persönlichen Recht einer Person lediglich die Verpflich¬
tung der anderen Person entspricht, diesem Rechte entsprechend zu
handeln.
A. Allgemeine Leb wen des büwgewl'icHen Wechts.
i. Die Personen.
1. Die natürlichen Personen.
54 Die Rechtsfähigkeit, d. h. Fähigkeit, Träger von Rechten
und Verbindlichkeiten zu sein, besitzt jeder Mensch in vollem Umfange
- Es läßt sich nicht leugnen, daß infolge dieser weitgehenden Zulassung der
landesgesetzlichen Regelung getvisser Rechtsgebiete unsere deutsche Rechtseinheit manche
fühlbare Lücken aufweist. Dieser Zustand hat zugleich die unerfreuliche Folge, daß
es'selbst für Juristen in vielen Fällen schtver ist, sich in dem bunten Nebeneinander
von Reichs- und Landesgesetzen rasch zurecht zu finden. Für Nichtjuristen ist das
fast unmöglich. Aber auch abgesehen von diesen Schwierigkeiten ist jedem Rechts¬
unkundigen der Versuch zu widerraten, einen verwickelteren Rechtsfall lediglich an
der Hand des Tertes des Bürgerlichen Gesetzbuchs beurteilen zu wollen. Zwar ist
die Sprache dieses Gesetzbuchs durchaus scharf, knapp und logisch und auch von
Fremdwörtern ziemlich frei, aber (vielleicht gerade wegen ihrer Knappheit und Schärfe)