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III. Länder- und Völkerkunde. A. Europa.
hundert war sic nur die Hauptstadt desjenigen kleinen Theils non
Irland, den die Engländer besaßen, und den sic „tlie Pale“ (die Um-
pfahlung) nannten, und erst im 17. und 18. Jahrhundert wurde sie
in Folge der Eroberung von ganz Irland, in Folge der allmähligeu
Zerstörung aller kleinen irischen Fürstenthümer, Clans und Ehieftain-
schaften, und der völligen Organisirung und Concentrirung des ganzen
Landes, von jenem lebendigen und raschen Wachsthum ergriffen, das
sie innerhalb zweier Jahrhunderte von einer unbedeutenden Stadt
mit 25,000 Einwohnern zu einer der ersten und berühmtesten Städte
Enropa's mit nahe an 300,000 Einwohnern erhob. Von Wilhelm III.,
der Irland in der Schlacht an der Bohne gegen Jakob II. noch ein
Mal eroberte und auf ein Jahrhundert lang beruhigte, kann man das
vornehmste und neueste Emporblühen dieser Stadt datiren. Seine
Statue ist daher auch die älteste Königsstatue in Dublin. Weder Edin¬
burghs noch Londons Größe sind von so jungem Datum. Beide
waren längst die Hauptstädte von Königreichen, die in Europa eine
Rolle spielten, während Dublin immer nur die Provincielle Hauptstadt
jenes bestrittenen und häufig angegriffenen Psahl-Districtes blieb. Da¬
her hat auch Dublin weder eine alte, cngstraßige und krummwinkelige
City wie London, noch einen solchen alterthümlichen, gäßchenreichen, von
früheren Jahrhunderten redenden Stadttheil, wie ihn Edinburgh auf
seiner Schloß- und Bcrgseitc besitzt. Denn das Alterthümliche, City-
artige, was Dublin etwa in der Nähe seines viceköniglichen Castles
besaß, war so unbedeutend, daß es beinahe ganz verwischt wurde oder
kaum in der großen Masse des Neuen bemerkt wird. Dublin ist die zweite
Stadt der vereinigten Königreiche. Zugleich aber ist es auch eine der
größten Städte Enropa's. Am besten läßt es sich mit Ofen-Pesth
vergleichen, das sich eben so wie Dublin als Hauptstadt eines abhän¬
gigen Königreichs und als Sitz eines Vicekönigs von einer Flcchtwand-
und Holzstadt zu einer der schönsten Städte Europa's erhob.
Da die Engländer dem Gesagten zufolge Dublin gebaut haben, die
englischen Könige und Vicekönige und die englischen Bürger-Colonieen,
die zu wiederholten Malen erst von Bristol und dann von verschiedenen
Orten Englands herüberkamen, so ist daher Dublin dem Aenßern nach
eine ganz englische Stadt. Außer seinen armseligen, schmutzigen Vor¬
städten und vielen von Bettlern bewohnten Gassen hat es nichts, was
nicht die englischen großen Städte auch hätten und was es nicht von
der andern Seite des Canales empfangen hätte. Die Privathäuscr
der Wohlhabenden sind eben so klein, sauber, schmucklos und ganz in
demselben Schnitt und derselben Zeichnung, wie die Privathäuser in
allen englischen Städten. Und die öffentlichen Gebäude sind eben so
schmuck- und säulenreich, so voll von Rotunden, Eolonnaden und Por¬
talen, wie die öffentlichen Gebäude der englischen Städte.
Die schönen Molos und Hafen-Anstalten wie in Liverpool, London
und den anderen englischen Häfen, das prächtige „Custom-lionse,“
das „Post-ofnee“ mit Säulen von ionischer Ordnung, die „Fonr