234. Asien und sein Verhältniß zu den beiden übrigen Theilen der alten Welt. 303
Den Gegensatz zu Afrika, als dem Süden oder Südwesten der alten
Welt, bildet die bei Weitem größere nordöstliche Continental-Halbe der
vereinten Erdtheile Europa und Asien. Denn beide machen nur eine
zusammenhangende Landermasse aus, etwa eine Million Quadratmeilen;
also doppelt so viel als der afrikanische Süden, der nur Weniges über
die Hälfte jenes Flächenraumes einnimmt. Dem Herkommen nach
denken wir uns diesen, weit vom Aufgang zum Niedergang fast über
die Hälfte des Erdballs in mächtigen Bogen hingelagerten Theil der
Erdrinde als zweierlei geschiedene Erdtheile, als einen westlichen und
einen östlichen, Europa und Asien, von denen dieser der überwie¬
gende Theil, jedoch fünfmal so groß ist als jener. Man könnte
wohl beim ersten Anblicke, welcher keine natürliche Scheidung beider
darzubieten scheint, geneigt sein, diese herkömmliche Trennung bloß der
Laune der Völker und der Zeiten zuzuschreiben-, zumal, da das frühere
Europa nicht von jeher mit dem heutigen gleiche Grenzen gehabt hat,
da Herodot z. B. zu seiner Zeit diesen Erdtheil von West gegen Osten
weit über die heutige Grenze von Asien hin ausdebnt. Wirklich ist auch
Asien gegen den Südwesten, gegen Afrika, ganz anders sichtbar durch
Meere geschieden und steht mit ihm in fast gar keiner continentalen
Verbindung; Europa dagegen macht mit ihm gegen Nordwesten längs
dem Meridiangebirge des uralischen Zuges bis zum kaspischeu See
noch einen breiten, gemeinsamen Stamm aus, und tritt aus diesem,
einem vielzweigigen Gewächse oder Sprößling Asiens vergleichbar, weit
gegen Nordwesten vor in den atlantischen und nördlichen Polar-Ocean.
Die durch den Gang nicht der Politik, sondern der Völker- und
Menschengeschichte ausgeprägten Benennungen der Erdräume hatten aber
allerdings ihren historischen Hintergrund, der sie durch alle Zeiten her¬
vorhob, und nicht Zufall ist cs gewesen, was einen europäischen von
einem asiatischen Erdtheile sonderte im Natur- uud im Völkerleben.
Jedem derselben wird seine Individualität durch ein eigenes inneres
System des Zusammenhanges seiner plastischen Gestalten gesichert, welche
mehr noch zu Trennungen führen als sondernde Meere.
Doch auch Meerscheidungen, die gegenwärtig immer noch sehr merk¬
liche Spuren ihres früheren Daseins zurückgelassen haben, mögen einst
in früheren Jahrtausenden Europa eben so bestimmt von Asien sammt
dem schmalen kaukasischen Isthmus gesondert und zu einem mehr als
Halbinsellande gemacht haben, wie Afrika noch jetzt von Asien. Näm¬
lich zu einer Zeit, da der Spiegel des kaspischen und Aral-Sees noch
um Weniges höher stand, als gegenwärtig, als er gegen Norden am Ost¬
fuße des Ural vorüber, durch die tiefen, jetzt trocken gelegten, aber mit
zahlreichen Gruppen von Salzseen erfüllten Einsenkungen, mittelst einer
Furche, durch die Sandwüste Kara-Kum und in der Richtung, welche
die vielen Seegruppen der Kirgisen- und Barabinzen-Steppe bezeichnet,
im Bette des nunmehrigen Tobol und Ob, mit dem Polarmeere noch
in Verbindung stand, vielleicht ehe der Ural zu seiner jetzigen Bedeu¬
tung emporgehoben war.