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Die Verfassung des Deutschen Reiches.
Die preußische Verfassung-surkunde, welche in der Einleitung
als „Staatsgrundgesetz“ bezeichnet wird, stammt vom 31. Januar 1850.
Wilk».
*101. Die Verkeilung des Deutschen Reiches.
1. Die 25 deutschen Staaten haben „einen ewigen Bund zum
Schutze des Bundesgebietes und des innerhalb desselben gültigen
Rechtes, sowie zur Pflege der Wohlfahrt des deutschen Volkes,
geschlossen. Dieser Bund führt den Namen „Deutsches Reich“. Er ist
während des ruhmreichen Krieges gegen Frankreich errichtet und am 1. Januar
1871 in Kraft getreten; dieser Tag ist daher als der Geburtstag des Deutschen
Reiches zu betrachten. Das Deutsche Reich ist somit ein Bundesstaat,
und die Träger der Staatsgewalt sind die vereinigten deutschen Staaten.
Für ganz Deutschland besteht nunmehr ein gemeinsames Bürger¬
recht, nach welchem jeder Angehörige eines Bundesstaates in jedem andern
Bundesstaate als Einheimischer behandelt wird und, wo es ihm im Deutschen
Reiche beliebt, einen festen Wohnsitz gründen, ein Gewerbe betreiben, Grund¬
stücke erwerben, sich um öffentliche Ämter bewerben und alle sonstigen
bürgerlichen Rechte genießen kann genau wie die an jenem Orte ein¬
heimischen Personen. Auch das Staatsbürgerrecht kann jeder Deutsche in
jedem Bundesstaate unter denselben Voraussetzungen erwerben, wie die Ein¬
heimischen. Hieraus ergibt sich, daß man zu gleicher Zeit Staatsbürger
mehrerer Bundesstaaten sein kann, also z. B. Preuße, aber auch zugleich
Badener und Oldenburger. Dem Auslande gegenüber haben alle Deutschen
gleichmäßig Anspruch auf den Schutz des Reiches.
Die Mitglieder des Bundes entsenden ihre Vertreter in den Bundesrat,
der sich als die Vertretung der verbündeten Regierungen darstellt und als
Träger der Staatsgewalt im Deutschen Reiche anzusehen ist. Als solcher
macht er durch seine Zustimmung die Beschlüsse des Reichstages zum Gesetze,
ist also mit dem Reichstage zusammen der Gesetzgeber des Reichs. Außer¬
dem beschließt er über die zur Ausführung der Reichsgesetze erforderlichen
allgemeinen Verwaltungsvorschriften und Einrichtungen, sowie über die Ab¬
stellung der Mängel, die etwa bei der Ausführung der Gesetze oder jener
Vorschriften hervortreten.
Der Bundesrat faßt seine Beschlüsse unter dem Vorsitze des vom
Kaiser ernannten Reichskanzlers mit 58 Stimmen, von denen auf Preußen 17,
auf Bayern 6, auf Sachsen und Württemberg je 4, auf Baden und Hessen
je 3, auf Mecklenburg-Schwerin und Braunschweig je 2 Stimmen und auf
die übrigen Staaten je 1 Stimme entfallen. Die Vertreter stimmen nach
Anweisung ihrer Regierungen und werden zusammenberufen, wenn es die
Geschäfte erheischen.
Das Präsidium des Bundes steht dem Könige von Preußen zu, welcher
den Namen „Deutscher Kaiser“ führt. Der Kaiser hat das Reich nach
außen in seinen Beziehungen zu andern Ländern zu vertreten, im Namen
des Reiches Krieg zu erklären und Frieden zu schließen, Bündnisse und