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grünen Decke überkleiden? Wenn die Lerche sich singend
aus den Saaten emporschwingt, die Wachtel schlägt'und
Wald und Gebüsch von dem Gesänge der Vögel belebt
wird? Welche Zeit der Arbeit, aber der fröhlichen, ist
nicht Heu- und Getreideärnte, die Obst- und Weinlese?
Und gerade, weil der Winter die Flur verödet, die Bäume
entlaubt und nur das dunkle Grün der Nadelwälder aus¬
hält, lernen wir die Schönheit der anderen Jahreszeiten
um so mehr schätzen, während der Bewohner der Tropen¬
länder, der diese Abwechslung nicht kennt, auf die Schön¬
heit der Werke Gottes in der Natur weniger achtet; er
ist wie ein reicher Mann, der im Ueberflusse lebt und an
seinen vielen Gütern die Freude nicht hat, weil er ihrer
niemals gemangelt hat und deßwegen ihren Werth nicht
recht erkennt. Haben wir keine Riesenthiere, keine Elephanten
u. dergl., so beneiden wir die Tropenbewohner nicht; die
Ungeheuer in den Wäldern und Flüssen, die gefährlichsten
Raubthiere wünschen wir eben so wenig herbei und freuen
uns, daß es nur wenige und nicht sehr gefährliche giftige
Thiere in unserer Zone aushalten. Dagegen haben wir
das Pferd, das Rind, das Schaf und die anderen Haus¬
thiere, die uns theils durch ihre Stärke nützen, indem sie
Pflug und Wagen ziehen, oder uns durch Milch und
Fleisch nähren oder durch ihre Wolle oder Haut Kleidung
verschaffen. Die größte Wohlthat, welche die gemäßigte
Zone ihren Bewohnern gewährt, ist aber die, daß sie uns
zur Arbeit antreibt. Wir müssen das Feld bebauen, den
Obstbaum und die Rebe ziehen, aus dem Walde Holz
herbeischaffen, sonst bestraft uns dafür der Winter durch
Mangel und Kälte. Wir müssen Vorräthe sammeln und
feste Wohnungen bauen, wenn wir Schutz gegen Wind,
Regen, Schnee und Kälte haben wollen. Das zwingt
zur Arbeit, zum Nachdenken, zur Sparsamkeit, zur Mäßig¬
keit; ist das nicht eine vortreffliche Schule? Alle Erfin¬
dungen, deren Anfänge wir kennen, alle, ohne Ausnahme,
sind in der gemäßigten Zone gemacht worden, ein Be¬
weis, wie sie die Menschen anleitet, ihren Verstand zu
gebrauchen. Die Abwechslung der Wärme und Kälte
härtet unsern Körper ab, macht ihn kräftig, so daß die
Europäer, die alle der nördlich gemäßigten Zone ange¬
hören, es unter allen Himmelsstrichen aushalten können,
in den kalten, weil sie ihr Winter an Eis, Schnee und